Nimmerklug im Knirpsenland
hätte keine Angst. Schneeglöckchen ergriff Nimmerklugs eine Hand, Blauäuglein nahm die andere, und so führten sie ihn über die Brücke. Die Knirpselinen sahen, daß er sich fürchtete, aber sie lachten ihn nicht aus, denn sie wußten, daß Knirpseriche das nicht vertragen können. Am anderen Ufer gingen sie die Straße hinab, und bald standen die drei vor einem kleinen weißen Haus mit grünem Dach.
„Das ist unser Krankenhaus“, sagte Blauäuglein.
Im Krankenhaus
Schneeglöckchen blieb vor der Tür stehen und zog an der Klingel. „Kiingling“, ertönte es drinnen. Die Tür ging auf, und eine Schwester in weißem Kittel und weißem Häubchen, unter dem goldblonde Locken hervorquollen, stand auf der Schwelle.
„Ach, du meine Güte“, rief sie und schlug die Hände zusammen. „Noch ein Kranker? Wir haben keinen Platz mehr, Ehrenwort! Wo die nur alle herkommen? Das ganze Jahr über hat das Krankenhaus leer gestanden – niemand wollte sich kurieren lassen, und heute ist es bereits der fünfzehnte Patient!“
„Der Knirpserich ist gar nicht krank“, erwiderte Schneeglöckchen. „Er will nur seine Freunde besuchen.“
„Nun, dann treten Sie ein.“
Die Knirpselinen und Nimmerklug gingen ins Sprechzimmer des Arztes. Pfefferminza saß am Schreibtisch. Als sie Schneeglöckchen und Blauäuglein erblickte, sagte sie: „Sie wollen wahrscheinlich die Patienten sehen. Das ist ganz ausgeschlossen. Sie vergessen wohl, daß ein Kranker Ruhe braucht. Sie haben bereits ein Pflaster auf der Stirn, Blauäuglein? Herzlichen Glückwunsch! Das habe ich Ihnen prophezeit. Ich weiß ja, wenn nur ein einziger Knirpserich im Hause ist, lassen Beulen und blaue Flecke nicht auf sich warten.“
„Wir wollen die Patienten gar nicht sehen“, entgegnete Schneeglöckchen. „Dieser Knirpserich möchte die Patienten besuchen. Es ist ihr Freund.“ „Diesem Knirpserich habe ich befohlen, im Bett zu bleiben. Er ist ohne ärztliche Erlaubnis aufgestanden und hat, wie ich sehe, bereits Streit angefangen. Ein Krankenhaus ist nicht der richtige Ort für Prügeleien.“
Pfefferminza hielt das Gespräch mit Nimmerklug für beendet und wandte sich an Blauäuglein. „Zeigen Sie mir Ihre Stirn, meine Liebe.“
Sie nahm das Pflaster ab und untersuchte Blauäugleins Stirn.
„Das Pflaster brauchen Sie nicht mehr“, erklärte sie, als die Untersuchung zu Ende war. „Kommen Sie mit, wir geben Ihnen eine Blaulichtbestrahlung, dann verschwindet der blaue Fleck.“
Sie verließ mit Blauäuglein das Zimmer. Nimmerklug sah einen weißen Kittel und eine Kappe am Garderobenhaken hängen. Ohne lange zu überlegen, zog er den Kittel an, stülpte sich die Kappe auf den Kopf, setzte sich die Brille, die Pfefferminza liegengelassen hatte, auf die Nase, nahm das hölzerne Hörrohr vom Tisch und verließ das Zimmer. Schneeglöckchen bewunderte ihn maßlos wegen seiner Kühnheit und Findigkeit.
Nimmerklug ging über den Korridor, öffnete eine Tür und stand im Krankensaal, wo seine Freunde lagen. Er trat an das erste Bett und erblickte darin Brummer. Sein Gesicht war brummig und unzufrieden.
„Wie fühlen Sie sich?“ fragte Nimmerklug mit verstellter Stimme.
„Ausgezeichnet“, erwiderte Brummer und zog dabei eine Grimasse, als wollte er in fünf Minuten sterben.
„Stehen Sie auf, Patient“, befahl Nimmerklug. Widerwillig richtete sich Brummer auf und starrte stumpfsinnig vor sich hin. Nimmerklug legte ihm das hölzerne Hörrohr an die Brust und sagte: „Atmen Sie!“
„Was soll das heißen“, brummte Brummer. „Aufstehen, hinlegen, atmen, nicht atmen …“
Nimmerklug knallte ihm das Hörrohr auf den Kopf und meinte: „Du hast dich gar nicht verändert, Brummer. Du brummst wie immer.“
Verblüfft starrte Brummer ihn an.
„Nimmerklug!“
„Still“, zischte Nimmerklug.
„Höre, Nimmerklug, hilf mir hier heraus“, flüsterte Brummer. „Ich bin vollkommen gesund, Ehrenwort. Ich hatte mir das Knie gestoßen, es tut fast gar nicht mehr weh, aber ich muß trotzdem im Bett bleiben, weil ich meine Kleider nicht bekomme. Ich kann das nicht mehr aushalten. Ich will spazierengehen. Begreifst du das?“ Brummer klammerte sich an Nimmerklugs Ärmel fest.
„Schön“, antwortete Nimmerklug. „Halte noch ein wenig aus, ich werde schon einen Ausweg finden. Du mußt mir aber versprechen, daß du mir von jetzt ab gehorchen wirst, und wenn die Knirpselinen fragen, wer den Luftballon erfunden hat, sagst du, ich sei es
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