Nimmerklug im Knirpsenland
strengem, magerem Gesichtehen und spitzem Kinn.
„Sie haben recht, Schwalba“, erwiderte eine andere, unter deren etwas vorstehender Oberlippe weiße Zähne hervorblitzten. „Man braucht den Knirpserieben durchaus nicht zu zeigen, daß man sie beachtet. Wenn sie sehen, daß sich niemand um ihre dummen Streiche kümmert, hören sie von allein auf.“
Schwalba und Sauertöpfchen zischelten und tuschelten so lange, bis sie in alle Ohren gezischelt hatten, daß man den herbeigeflogenen Knirpserieben mit Verachtung begegnen müsse. Sämtliche Knirpselinen beschlossen nun, von den Knirpserieben keine Notiz mehr zu nehmen.
Aus dieser Verabredung wurde aber nicht viel. Dafür verbreitete sich überall die Kunde, daß Farbenklecks ein guter Maler und Geigenstrich ein ausgezeichneter Musiker sei, der auf der Flöte spielen konnte. Alle wollten natürlich das Flötenspiel so schnell wie möglich hören, denn in Grünstadt konnte man nur Harfe spielen – eine Flöte hatte noch niemand gehört. Viele wußten nicht einmal, daß es überhaupt so ein Instrument gibt.
Bald wurde bekannt, daß Farbenklecks und Geigenstrich am Apfelplatz wohnten. Sie waren in das Haus gezogen, in dem die Knirpseline Stupsnäschen mit ihren Freundinnen wohnte. Im zweiten Stock dieses Hauses, genau unter dem Dach, befand sich ein großes Zimmer mit einem breiten Fenster, das die ganze Wand einnahm. Dieses Zimmer gefiel Farbenklecks, weil es hell war, und deshalb beschlossen er und Geigenstrich, dort einzuziehen.
Das Fenster ging auf den Apfelplatz. Und siehe da, am Abend füllte sich der Apfelplatz, auf dem sonst nie großer Verkehr herrschte, mit lustwandelnden Knirpselinen. Immer wieder schauten sie verstohlen zu dem beleuchteten Fenster im zweiten Stock empor.
Von Zeit zu Zeit sahen sie entweder den glattgekämmten Kopf von Geigenstrich oder die gesträubte Mähne von Farbenklecks am offenen Fenster vorüberhuschen. Dann hörte die Huscherei auf, und die Knirselinen erblickten Farbenklecks, der sich auf das Fensterbrett stützte und träumerisch in die Ferne schaute. Jetzt tauchte neben ihm Geigenstrich am Fenster auf. Plötzlich spuckten sie gleichzeitig auf die Straße hinab und verschwanden.
Es sah aus, als würde nichts Interessantes mehr geschehen, aber die Knirpselinen wollten immer noch nicht nach Hause gehen. Und wirklich, kurz darauf drangen aus dem Fenster zärtliche Flötentöne – es klang wie das Rieseln eines Baches. Bald strömten sie gleichmäßig dahin, bald wogten sie wie Wellen, die hochspringen und sich in der Luft überschlagen, sich jagen und aufeinanderprallen. Den Knirpselinen wurde fröhlich ums Herz. Die Musik fuhr ihnen in Hände und Füße, sie bekamen Lust zu tanzen. Lautlos öffneten sich die Fenster der Häuser. Auf dem Platz wurde es still. Die Menge lauschte.
Schließlich verstummte die Flöte. Im gleichen Augenblick erklangen aus dem Fenster des gegenüberliegenden Hauses die Töne einer Harfe. Die Harfe versuchte die neue Melodie zu wiederholen. Unsichere Finger griffen in die Saiten. Die Melodie hatte ziemlich klar begonnen, aber allmählich verwirrte sie sich, um ganz abzubrechen. Da kam ihr die Flöte zu Hilfe und nahm die Melodie auf. Die Harfe erwachte zu neuem Leben und klang wieder sicherer. Aus dem Nachbarhaus fiel eine zweite ein, dann eine dritte.
Die Musik wurde immer lauter und fröhlicher. Nimmerklug, der Farbenklecks Pinsel und Farben bringen wollte, erblickte vor dem Haus ein ungewöhnliches Schauspiel. Der ganze Apfelplatz war überflutet von Knirpselinen, die dem wundersamen Konzert lauschten. Nimmerklug lauschte ebenfalls ein wenig und begann sogar auf einem Bein zu hüpfen. Als er aber merkte, daß ihn niemand beachtete, winkte er verächtlich ab und verschwand in der Haustür.
Schraubschnell und Schraubstift wandern nach Drachenstadt
„Tretet an in Reih und Glied,
die Morgensonne mit uns zieht!
Wenn der Tag mit Sport beginnt, alle Müdigkeit verrinnt.“
Dieses Lied vom Frühsport hatte der Dichter Blüte verfaßt.
Es war früh am Morgen, in Grünstadt schliefen noch alle. Schraubschnell und Schraubstift aber marschierten durch die Straßen, sangen aus voller Kehle und machten dabei Freiübungen. Schon gestern hatten sie erfahren, daß sie heute aus dem Krankenhaus entlassen werden sollten, um das Auto zu reparieren. In aller Herrgottsfrühe hatten sie verlangt, unverzüglich entlassen zu werden.
Viele Knirpselinen, die das Lied schon von weitem hörten, erwachten und
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