Nimmerklug in Sonnenstadt
machen mußte und nun vor einem Schaltpult mit den Kugelbildflächen stand.
„Unsere Polizeiwache beobachtet genau zweiundfünfzig Straßen kreuzungen", erklärte Wachkugel. „Ein Blick auf diese zweiundfünf zig Kugeln genügt, um festzustellen, was auf den Straßen passiert. Wenn wir auf den kleinen Kugeln die Einzelheiten nicht genau erkennen können, schalten wir die große Kugel ein." Der Polizist Wachkugel knipste einen Schalter an. Die Bildkugel, die mitten im Zimmer hing, wurde von innen mit bläulichem Licht erleuchtet, und eine Straßenkreuzung mit Autos, die auf dem Fahrdamm hielten, war zu erkennen.
„Sehen Sie: An der Ecke Lebkuchen-Zwiebackstraße ist eine Verkehrsstockung." Vorwurfsvoll zeigte Wachkugel auf die Kugel.
Er knipste einen anderen Schalter an, und eine neue Straßenkreuzung erschien auf der Kugel.
„An der Ecke Zucker- und Kotelettstraße ist es das gleiche. Jetzt müssen wir lange warten, bis der Verkehr wieder in Gang kommt."
Der Polizist Pfeifstengel hatte inzwischen in eine andere Kugel geblickt.
„Auf der Oststraße ist die Knirpsenmenge immer noch nicht auseinandergegangen", meldete er.
„Wir wollen die Oststraße gleich einmal einschalten", sagte der Polizist Wachkugel; er drehte an einem Schalter, und auf der großen Kugel erschien das Bild der Oststraße an der Stelle, wo Nimmerklug mit Grauscheck um den Wasserschlauch gerauft hatte. Eine große Knirpsenmenge versperrte die ganze Straße. Vorne stand Strubbel und erzählte.
„Was haben wir in unserer Stadt nur für Leute!" Wachkugel runzelte die Stirn. „Du wirst noch einmal hinfahren müssen, Pfeifkugel, und sie bitten, auseinanderzugehen. Sie sollen sich anderenorts unterhalten und keinen Knirpsenauflauf bilden. Sie stören doch den Verkehr." Pfeifstengel nickte. Er führte Nimmerklug ins Nebenzimmer, wo ein Tisch und mehrere Stühle standen.
„Bitte warten Sie einen Augenblick auf mich", sagte er. "Ich bin gleich wieder zurück."
Damit machte er die Tür hinter sich zu. Der Polizist Wachkugel beobachtete weiterhin seine zweiundfünfzig Bildschirmkugeln mit den Straßenkreuzungen. Auf der großen Kugel sah er, daß Pfeifstengel am Tatort erschienen war und es ihm gelang, die Knirpse zum Auseinandergehen zu überreden. Danach kehrte Pfeifstengel zurück.
„Was machen wir jetzt mit dem Verhafteten?" fragte er, als er wieder in der Wachstube stand.
Wachkugel zuckte die Schultern.
„Ich weiß es auch nicht", sagte Pfeifstengel. „So viele Jahre arbeite ich nun schon in der Polizei, aber noch niemals habe ich erlebt, daß Knirpse einander mit Wasser bespritzen. Ich glaube, wir sollten ihm eine kurze Strafpredigt halten und ihn dann schleunigst heimgehen lassen, damit er nicht böse auf uns ist."
Pfeifstengel war einverstanden.
„Bring ihn auch noch zu mir, damit ich mich bei ihm entschuldigen kann, weil ich so streng zu ihm war."
Eine solche Unterhaltung zwischen zwei Polizisten erscheint merk würdig, ja unwahrscheinlich. Jedermann wird begreifen, daß sich ein Polizist für einen verhafteten Ruhestörer eine Strafe ausdenkt, und sei sie auch noch so gering; doch sich bei ihm entschuldigen wird er auf gar keinen Fall. Aber wir müssen bedenken, daß in Sonnenstadt alles anders war. Einst, vor langer Zeit, kam es auch in Sonnenstadt vor, daß sich einige Knirpse schlecht benahmen. Sie prügelten sich, schmissen mit Steinen und Schmutz, bespritzten einander mit Wasser, und manche stahlen sogar. Die Polizei hatte das Recht, die Ruhestörer zu bestrafen. Wenn jemand einen anderen hänselte, ihm die Zunge herausstreckte, mit dem Auto auf der verkehrten Seite fuhr, mit Wasser spritzte oder einen Hund quälte, dann war der Polizist verpflichtet, ihn zu ermahnen oder ihm eine Strafpredigt von fünf bis fünfzig Minuten zu halten. Für schwere Vergehen gab es strengere Strafen, zum Beispiel: für einen Faustschlag auf den Rücken, auf die Brust oder in die Seite — einen Tag Gefängnis; für einen Schlag ins Gesicht oder auf den Kopf — zwei Tage Gefängnis. Wer mit Steinen geworfen oder mit einem Stock geschlagen hatte, bekam drei Tage Gefängnis. Wenn der Schlag einen blauen Fleck, eine Beule oder Schramme hervorgerufen hatte, wurden fünf Tage Gefängnis verhängt, hatte der Angegriffene geblutet, gab es zehn Tage.
Manch einer wird nun denken, zehn Tage Gefängnis seien eine allzu kurze Frist. Aber für die winzigen Knirpse, denen die Zeit viel langsamer vergeht als uns, ist das eine lange Zeit. Auf
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