Nimmerklug in Sonnenstadt
ein bißchen Saftbrause zu trinken!” meinte Buntfleck, als er die Knöpfe und Hähne erspähte.
Sie traten an den Kiosk, drückten auf verschiedene Knöpfe und gossen ein Glas Saftbrause nach dem anderen in sich hinein. Bun tfleck hatte sich schon sechs oder sieben Gläser einverleibt, aber er war nicht vom Kiosk wegzubringen, obgleich er keinen Durst mehr verspürte.
„Wir wollen uns hier auf die Bank setzen und verschnaufen", schlug Nimmerklug vor. „Wenn jemand Durst bekommt, kann er gleich wieder zum Kiosk laufen."
Auf der anderen Straßenseite stand ein fünfstöckiges Haus, unter dessen Dach ein großes Bild gemalt war. Es stellte Rotkäppchen und den Wolf dar, die sich im Wald begegnen. Pünktchen begann so gleich, das Märchen vom Rotkäppchen zu erzählen. Das machte Spaß, weil man dem Märchen lauschen und gleichzeitig das Bild betrachten konnte. Doch Nimmerklug und Buntfleck liefen alle Au genblicke zum Kiosk, um Saftbrause zu trinken. Darüber ärgerte sich Pünktchen, denn es ist scheußlich, wenn man ein Märchen erzählt und dabei dauernd unterbrochen wird.
Schließlich war das Märchen zu Ende, obwohl es wegen der vielen Unterbrechungen über eine halbe Stunde gedauert hatte. Nimme rklug sprang auf, um sich noch eine Saftbrause zu holen, taumelte aber plötzlich und hielt sich an Pünktchen und Buntfleck fest.
„Was hast du?” fragte Pünktchen erschrocken.
„Mir dreht es sich vor den Augen!"
Pünktchen und Buntfleck griffen ihm unter die Arme und. setzten ihn auf die Bank.
„Du hast wahrscheinlich einen Brauserausch", vermutete Buntfleck. „Wie fühlst du dich?" forschte Pünktchen besorgt.
Jetzt ein bißchen besser. Eben kam es mir so vor, als drehte sich das Haus."
„Welches Haus?"
„Das da, gegenüber."
Pünktchen und Buntfleck blickten zu dem Haus hinüber und pack ten sich ebenfalls bei den Händen. Auch ihnen schien es, als hätte sich das Haus, das ihnen anfangs die Vorderseite zugekehrt hatte, jetzt zur Seite gedreht. Man konnte Rotkäppchen und den Wolf kaum noch erkennen. Buntfleck schüttelte den Kopf. Da trat ein Sonnenstädter zu ihnen.
„Was haben Sie?" fragte er.
„Uns ist schwindlig", antwortete Pünktchen. „Es kommt uns vor, als drehe sich das Haus da."
„Sie kommen wohl von außerhalb?"
Ja", antwortete Pünktchen. „Wie haben Sie das erraten?"
„Das liegt auf der Hand, denn jeder Sonnenstädter weiß, daß sich das Haus tatsächlich dreht."
„Wie denn?" riefen Nimmerklug und Buntfleck gleichzeitig.
„Es dreht sich zwar nicht so schnell, daß man die Bewegung auf den ersten Blick wahrnehmen könnte, aber wenn man aufmerksam hinsieht, kann man sie erkennen."
Nimmerklug, Buntfleck und Pünktchen gewannen allmählich ihre Fassung zurück. Sie betrachteten das Haus noch einmal und sahen, daß es ihnen nun schon die Rückseite zukehrte. Das Rotkäppchen-Bild war verschwunden.
„Erstaunlich?" rief Buntfleck. „Das heißt ... ä ... nein, es ist natürlich gar nicht erstaunlich. Nur ein Drehhaus."
„Kein Drehhaus, sondern ein Kreiselhaus", berichtigte ihn der Knirpserich.
„Trotzdem kann ich nicht begreifen, wie es sich dreht", sagte Nimmerklug.
„Das kann ich Ihnen leicht erklären, denn ich bin von Beruf Archi tekt", antwortete der Knirpserich. „Haben Sie schon einmal gesehen, wie man hohe, vielstöckige Häuser von der Stelle rückt? Unter die Grundmauern werden Schienen gesteckt, auf denen dann das Haus wie auf Rädern an seinen neuen Platz geschoben wird. Ein Kreisel haus zu konstruieren, ist leichter, weil man es von vornherein auf kreisförmigen Schienen erbaut. Um das Haus kreiseln zu lassen, braucht man dann nur noch einen Elektromotor."
„Das begreife ich", erklärte Nimmerklug. „Aber wozu muß das Haus kreiseln? Ist das besser, als wenn es auf einem Fleck steht?"
Ja, ein Kreiselhaus besitzt gewisse Vorzüge", erläuterte der Archi tekt. „Die Fenster gewöhnlicher Häuser können nach Norden, Süden, Osten oder Westen zeigen. In die Südfenster scheint die Sonne den ganzen Tag, doch die Nordfenster bekommen keinen Sonnenstrahl ab. In solchen Zimmern ist das Leben traurig, denn jedermann will gern Sonne im Zimmer haben. Ein Kreiselhaus aber dreht sich stünd lich, und dadurch scheint die Sonne jede Stunde einmal in jedes Fen ster. Folglich hat ein Kreiselhaus nur sonnenbeschienene, freundliche Wohnungen."
„Allmählich fällt bei mir der Groschen'', erkärte Nimmerklug. „Wer ist denn auf den Einfall gekommen,
Weitere Kostenlose Bücher