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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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betrachtete das Bildnis.
    Noch immer zeigte es die Gabelung eines Weges in den Feldern, wo umgrenzt von dichten Sträuchern jene Bäuerin saß, die ein kleines Kind in ihren Armen hielt. Zu ihren Füßen lag eine Karaffe, aus der sich Milch ergoss, und daneben ein Laib Brot. Doch vor den beiden stand nun der traurige Junker. Sein Schatten fiel auf die Karaffe, genau dorthin, wo er auch hingefallen war, als der Junker sich nicht in dem Bildnis befunden hatte.
    »Wollt ihr seine Geschichte hören?«
    Greta warf mir von der Seite einen Blick zu.
    »Ich werte dies als ein Ja.« Luzia war voller Tatendrang, und ich glaube, dass sie nichts davon hätte abhalten können, uns die Geschichte zu erzählen.
    Zero, der wohl ahnte, was ihn erwartete, trottete von dannen.
    »Es begab sich in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges«, begann Luzia Grillparzer ihre Erzählung, »dass ein reicher Ritter aus Alflen seinen Sohn zu einem nahe gelegenen Kloster schickte, um sich dort Essbares zu erbitten. Ihr müsst wissen, dass in jener Zeit die Armen genauso hungerten wie die Reichen. Selbst auf dem Land wussten die Bauern nicht mehr, wie sie ihre Familien ernähren sollten, so viel Schaden hatte der Krieg angerichtet.«
    Während die Worte der alten Frau den Saal füllten, beobachtete ich heimlich Greta, die ihrer Großmutter andächtig lauschte. Was, fragte ich mich, hat es mit all diesen Geschichten auf sich. Jeder hier war so begierig darauf, mir die alten Geschehnisse, die sich hier zugetragen hatten, mitzuteilen. Wozu das alles? Was steckte dahinter? Wie konnte es sein, dass eine gemalte Figur mit einem Mal verschwand, um dann am folgenden Tag wieder im Bild aufzutauchen?
    »Jonathan, hörst du mir zu?«
    Ertappt antwortete ich: »Ja, natürlich.«
    Die alte Frau hob tadelnd den Zeigefinger. »Es ist wichtig, diese Geschichte zu kennen.«
    Ich nickte.
    Dann fuhr Luzia fort: »Die Mönche gaben dem Junker, welcher der Sohn des reichen Ritters war, einen Laib Brot mit auf den Weg, den der Junker in einem Sack verstaute.«
    Draußen hatte es wieder zu schneien begonnen.
    »Als er an eine Weggabelung bei Naunheim kam, sah er dort eine abgemagerte Frau mit ihrem kleinen Mädchen sitzen. Hilfesuchend streckte sie die Hände aus nach dem vorbeireitenden Junker und bat ihn um ein Stück Brot. Nur für mein Kind, bettelte sie. Aber der Junker war zu geizig, auch nur ein kleines Stück abzugeben. Er belog die Frau und behauptete, das schwere Ding in seinem Sack sei nur ein Stein, den er zum Beschweren des Sauerkrauts im Tontopf benötige. Er habe den Stein nur deshalb in den Sack gesteckt, damit er ihn besser tragen könne.« Luzia seufzte. »Ein besonders feiner Kerl war er nicht, unser Junker.« Sie lächelte. Doch nur kurz. »Der Junker ritt weiter und verließ den Weg, weil er nicht noch weiteren bettelnden Menschen begegnen wollte. Über Felder und Wiesen gelangte er schließlich nach Hause, wo er das Brot gerecht verteilen wollte. Alle standen sie mit hungrigen Mäulern um ihn herum, und der Speichel troff ihnen von den Lippen.
    Doch das Messer des Junkers wollte das Brot einfach nicht schneiden. Immer wieder rutschte es ab.«
    Greta stand jetzt dichter neben mir als zuvor.
    »Das Brot«, erklärte uns Luzia, »war zu Stein geworden.«
    »Die Strafe für den Geiz«, kommentierte Greta.
    Die alte Frau stimmte zu. »Der Junker wurde von einem schlechten Gewissen geplagt, und er erzählte dem Vater von seinem schändlichen Versagen. Der alte Ritter, dessen Augen schon viel Schlimmes in der Welt gesehen hatten, trug dem Sohn auf, zurück zur Weggabelung auf dem Feld zu reiten. Einen Krug Milch solle er der armen Frau bringen, damit deren Not ein wenig gelindert werde.«
    Greta knabberte nervös an der Unterlippe und lauschte gespannt den Worten ihrer Großmutter.
    »Der Junker fand Mutter und Kind noch an der gleichen Stelle. Doch als er der Frau den Milchkrug geben wollte, da nahm sie ihn nicht an. Auch das Mädchen lag ganz ruhig in den Armen der Mutter.« Luzia schluckte, bevor sie fortfuhr: »Beide waren tot.«
    »Warum müssen diese Geschichten immer auf diese Weise enden?«, fragte sich Greta laut.
    »So ist das Leben nun einmal«, gab ihr die Großmutter zur Antwort. »So sind die Menschen.«
    »Was passierte dann?«
    »Der traurige Junker ritt zum nahe gelegenen Kloster und beichtete den Mönchen, dass er durch Hartherzigkeit und Geiz den Tod zweier Menschen verursacht habe. Die guten Mönche begruben Mutter und Kind in

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