Nimmermehr
musste lachen. »Ja, klar.«
Als hätte er nur darauf gewartet, ließ Zero ein lautes Bellen vernehmen, das durch das Tal hallte, als sei der Hund der Baskervilles im Moor unterwegs.
»Lass uns nach drinnen gehen«, schlug Greta rasch vor. »Luzia erwartet uns in ihrem Refugium.«
»Er ist wieder da!« Mit diesen Worten begrüßte uns die alte Frau bereits am Tor. Einen langen Mantel trug sie und dazu eine Pelzmütze. Ganz aufgeregt winkte sie uns zu, als sie uns bemerkte. »Greta, er ist tatsächlich wieder da!« Ein Stück Papier schwenkte sie über dem Kopf, triumphierend und freudig. »Er hat doch tatsächlich geschrieben, der alte Halunke. Du gute Güte, wer hätte das gedacht.«
Greta begann zu laufen, als sie ihre Großmutter am Tor stehen sah.
Ich folgte ihr.
Und als wir bei der alten Frau ankamen, waren wir beide ganz außer Atem.
»Wer«, keuchte ich, »ist wieder da?«
Ich stellte diese Frage, obwohl ich die Antwort bereits kannte.
»Der traurige Junker!«
Gretas Gesicht erhellte sich vor Freude. »Er ist wieder da?«
Luzia nickte.
In der einen Hand hielt sie ein Blatt Papier, das ein Brief gewesen sein mochte. Genau konnte ich das nicht erkennen.
»Überzeugt euch doch selbst!« Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt sie durch das Mannsloch im Torflügel, überquerte den Burghof, wo ich in der Nacht die arme Agnes gesehen hatte, und verschwand im Haus.
Am Ende sah ich mit eigenen Augen, was Luzia Grillparzer uns bereits mitgeteilt hatte.
»Wie kann das sein?« Etwas anderes zu sagen fiel mir nicht ein.
Zu dritt standen wir vor dem Bildnis des traurigen Junkers im Rittersaal.
Und da war er.
In kräftigen Farben gemalt, die keine Spuren der Vergänglichkeit erkennen ließen. Erst recht gab es keinen Hinweis darauf, dass die Figur, die nunmehr klar und deutlich für alle zu sehen war, am Vortag noch gar nicht da gewesen war. Die Mutter mit dem Kind saß noch immer an der Weggabelung in dem Bild, an der sie auch während meines ersten Besuches im Rittersaal gesessen hatte. Der Milchkrug lag auf dem Boden, und dieselben Wolken, die kaum mehr waren als helle Tupfer in dem Himmelblau des Sommerhimmels, schwebten über dem Haupt des Junkers. Eine prächtige Rüstung trug er und einen Helm, der sein Gesicht nur erahnen ließ.
»Früher hat man sich wohl noch seine Geschichte in den Wirtschaften der Dörfer auf dem Maifeld erzählt«, sagte Luzia Grillparzer, die unsere Gesichter nicht einen Augenblick aus den Augen gelassen hatte.
»Du kennst die Geschichte?«
Überglücklich nickte sie.
Dabei schwenkte sie erneut das Blatt Papier, mit dem sie uns draußen zugewinkt hatte.
Zero stand zwischen Greta und mir und betrachtete seinerseits das Bildnis mit dem wohl größten Interesse, das ein kulturell gebildeter Labrador einem Gemälde von Lukas Cranach schenken kann.
»Mario Amontillado.« Die raue Stimme Luzias fand einen tiefen Widerhall von den Wänden des Rittersaals.
»Nie von ihm gehört«, stellte Greta fest.
»Das ist der Name des Antiquitätenhändlers, von dem dein Vater im Namen des Grafen dieses Bildnis erstanden hat. Mario Amontillado kannte die Geschichte des traurigen Junkers.« Geheimnisvoll fügte sie hinzu: »Vielleicht hat er noch viel, viel mehr gewusst, als wir uns zu erträumen wagen.« Sie zwinkerte mir zu, und mir fiel auf, dass sie eine Lesebrille trug.
Ich entsann mich der Tageszeitung, die ich in der Wohnung der Grillparzers gesehen hatte.
»Er ist doch gestorben«, sagte Greta.
Luzia widersprach ihr nicht. »Vorgestern.«
Sie klatschte in die Hände.
Voller Freude.
Und alle schraken wir zusammen.
»Ich dachte, er hat sie mit sich genommen.« Erneut klatschte Luzia in die Hände. »Aber das hat er nicht.« Überglücklich lachte sie laut auf. »Er hat sie mir geschickt, der alte Halunke.« Leiser, beinah schon andächtig dankbar, wiederholte sie: »Er hat sie mir doch tatsächlich geschickt. Der Brief kam heute mit der Post. Ich habe ihn vor einer Dreiviertelstunde unten im Wohnzimmer gefunden.«
Es war Greta, die die Frage dann endlich aussprach. »Was hat er dir geschickt? Was stand in dem Brief?«
»Aber Kind, das weißt du nicht?«
Natürlich ahnte Greta es.
»Die Geschichte des traurigen Junkers«, antwortete Luzia. »Und wisst ihr was?«
Wussten wir natürlich nicht.
»Es ist die Geschichte vom steinernen Brot. Na ja, nicht ganz. Ein wenig abgeändert ist sie schon. Doch im Grunde genommen ist es die Geschichte vom steinernen Brot.«
Ich
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