Nimmermehr
Meinung aller Beteiligten war dies ein gutes Versteck.
»Wir sollten jetzt nach unten gehen«, schlug Tim vor und strich sich eine Strähne des dichten blonden Haars aus dem bebrillten Gesicht. Amelia kannte Tim seit der gemeinsamen Studienzeit an der Columbia. Im Gegensatz zu Tim, der durchtrainiert und sportlich wirkte, war Peter der Nerd der Truppe. Die schlaksige Körperhaltung, das strähnige Haar und der abwesende, arrogante Blick hatten noch nie Zweifel daran aufkommen lassen, dass Peter dazu auserkoren war, bei den Naturwissenschaften zu landen.
»Amelia?«
»Du wirkst besorgt.«
Peter nickte. »Er könnte durchdrehen.«
»Dann dreht er eben durch.« Das war Nummer drei im Team. Anne deLillo war eine lesbische Schriftstellerin, deren letztes Werk, eine Dokumentation über die Diskriminierung der Frau im amerikanischen Zeichentrickfilm der 50er Jahre, heftig in die Kritik geraten war. Der Verlag hatte ihr den Vertrag gekündigt, weil sie, so behaupteten die Juristen, »unsauber recherchiert« habe. »Lasst ihn doch durchdrehen. Verdient hat er es.« Anne deLillo war Radikale. Von ihr stammte der Vorschlag, die Genitalien des Tabakwarentycoons in einer Packung »Norris’ Echte« an den Konzern zurückzuschicken, um die Forderungen zu untermauern. »Wir sollten die frauenfeindlichen Aspekte des Rauchens stärker betonen«, war ihre Forderung gewesen.
Das Kollektiv hatte diesen Vorschlag abgelehnt.
»Vor einer Stunde brachten sie es auf NBC«, verkündete Faithful, als er den Raum betrat. Er wirkte stolz und stark, wie ein Häuptling, selbst hier in dem kleinen Raum, der einmal ein Büro gewesen war. »Topmanager von Nichtraucherbewegung entführt.« So lautete die Schlagzeile.
»Ich finde, das klingt zu harmlos«, schimpfte Anne. »Wir sind keine Bewegung, wir sind eine Volksfront.« Sie wirkte grimmig. »Wir sind radikal.«
»Du bist radikal«, entgegnete Faithful.
»Haben sie das Flugblatt vorgelesen?« Amelia konzentrierte sich auf das Wichtige.
Faithful nickte.
»Dann wissen sie jetzt, dass wir es ernst meinen.« Amelia Guttmundsdottier betrachtete die Runde der Verschwörer. »Wenn die Welt P. E. Norris wiedersieht, dann wird er das sein, was er sich nie zu sein erträumt hat.«
Anne und Tim grinsten breit.
Peter wirkte geistesabwesend.
Faithful wusste, wie dieser Gedankengang enden würde.
Und Amelia sagte: »Norris wird ein überzeugter Nichtraucher sein, wenn er uns verlässt.«
Die eiserne Tür zu Norris’ düsterem Verlies öffnete sich mit einem rostigen Krächzen. Licht strömte in den muffigen Raum und blendete die empfindsamen Augen des Gefangenen. Norris nahm die Silhouetten von mehreren Personen wahr, die nun, eine nach der anderen, den Raum betraten. Wie viel Zeit vergangen war, seit sie ihn hergebracht hatten, vermochte er nicht zu sagen. In der Zwischenzeit hatte er zweimal seine Blase entleert, das Rebellieren seines Magens ignorierte er noch standhaft.
»Willkommen«, begrüßte ihn eine Frauenstimme. Die Silhouette dazu stand im Türrahmen.
Norris blinzelte ins grelle Licht.
Alle Personen – es waren vier – trugen Motorradmützen, die nichts als einen geschlitzten Blick auf die Augen der Träger erlaubten.
»Ich bin die Vorsitzende der VferA«, stellte sich die Frau vor. »Wir haben Sie hierher gebracht, weil Sie uns zu diesem notwendigen, wenn auch drastischen Schritt gezwungen haben.« Sie machte eine kurze Pause. »Ja, Mr Norris, die von Ihnen zu verantwortende zunehmende Verunreinigung der Welt mit Tabakwaren ließ uns keine andere Wahl.«
Norris hustete.
Ein Maskierter prüfte seinen Puls, nickte der Anführerin zu.
Norris war wütend. Was sollte dieses Geschwätz? Wollten sie sein Verständnis? Das bestärkte ihn nur in seinem guten Vorsatz, nicht die geringste Schwäche zu zeigen.
»Was wollen Sie von mir?«
»Wir wollen das, was alle Entführer bezwecken. Aufmerksamkeit. Wir wollen ein Ziel erreichen.«
»Wir haben Ideale«, sagte ein anderer Maskierter.
»Wir sind radikal«, sagte eine Frauenstimme.
»Lösegeld?«
»Nein!« Ganz entschieden.
»Spucken Sie es schon aus.«
Die Frauensilhouette seufzte. »Sie selbst sind ebenfalls Raucher, Mr Norris. Und das, obwohl Sie wissen, wie schädlich eine Zigarette ist. Ich persönlich betrachte ein derartiges Verhalten schlichtweg als dumm. Eine normale Zigarette enthält mehr als viertausend Schadstoffe verschiedenster Art. Mehr als fünfhundert davon sind nachweislich krebserregend. Hinzu kommen
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