Nimmermehr
er schließlich zu weinen.
Glooskap suchte sich Verbündete in der Welt der Menschen. Denn er konnte die Geister nicht allein bekämpfen. Der Medizinmann, der die bösen Geister heraufbeschworen hatte, musste ihnen aus freiem Willen abschwören. Nur er hatte die Macht dazu. So war es immer schon gewesen.
»Glaubst du, er hat es geschluckt?«, fragte Anne.
»Die Sache mit den Fingern?«
»Ja.«
»Du warst überzeugend«, sagte Tim.
Anna und Amelia befanden sich in einem der ausgedienten Büroräume.
»Er wird die Geister sehen, die er heraufbeschworen hat«, sagte Faithful nur.
»Wann geben wir ihm sein Feuerzeug zurück?«, fragte Anne.
»In etwa einer Stunde«, sagte Faithful.
Bis dahin würden sie alle sich eine wohlverdiente Ruhepause gönnen. Tim bewachte das Verlies im Keller, und Peter verfolgte die Sache in den Medien.
Man muss die Zeit verstehen, dann wird sie zu einer Verbündeten. Das sagten die Huronen vom großen See. Glooskap kannte die Zeit.
Während Anna deLillo in ihrem Lieblingsbuch las (der Autobiografie einer Krankenschwester, die Ende der 50er Jahre in Providence eine Frauenbewegung ins Leben gerufen hat), hing Amelia ihren Gedanken nach.
Sie erinnerte sich.
An ihre Kindheit, die abrupt endete, als ihr Vater an Lungenkrebs starb. An den zweiten Ehemann ihrer Mutter, einen Polizisten, der von einem Halbstarken erschossen wurde, als er ihn beim Plündern eines Tabakwarenladens erwischte. An ihre Zeit an der Columbia, wo sie Philosophie und Nahrungsmittelchemie studiert und erstmals auf die Antiraucherbewegung »Grauer Sonntag« aufmerksam geworden war. An ihre erste große Liebe, den norwegischen Naturheilkundler Nils Guttmundsdottier, der nach zwei glücklichen Ehejahren ums Leben kam, als ein Truck, der Zigaretten transportierte, auf der Interstate 261 in seinen Buick raste. An die Gründung der VferA und die langwierige Planung der Aktion, die nun in vollem Gange war.
Amelia war zufrieden mit sich.
Immer wieder hatten Tabakwaren ihr Leben gekreuzt und verändert. Sie hasste das Zeug, und sie hatte Ideale, an denen sie festhielt. Jetzt war sie am Zug. Das erklärte Ziel der VferA war ein Amerika, in dem sich die Nichtraucher frei bewegen konnten.
Sicher – die Staaten waren bereits ein (in dieser Hinsicht) fortschrittliches Land. Anfang des Jahres lief bei Chrysler in Detroit das erste Auto ohne Aschenbecher vom Fließband. Die Regierung plante eine Verdreifachung der Zigarettensteuer, und die Food & Drug Administration hatte gute Chancen, Zigaretten per Gesetz als Droge ächten zu lassen. Strafgefangene konnten ihr Recht auf eine Nichtraucherzelle durchsetzen, und an immer mehr Arbeitsplätzen herrschte striktes Rauchverbot.
Aber war das genug?
NEIN!
Dies konnte nur ein Anfang sein.
Eine raucherfreie Gesellschaft – DAS war das Ziel, das die VferA anstrebte.
Amelia hatte die Augen geschlossen und dachte an Norris, der in seiner Zelle schmorte und ahnungslos war. SO ahnungslos, wie ein Mensch nur sein konnte. Er hatte den Bluff nicht durchschaut (wie hätte er das auch tun können?). Dabei hätte sie nie gedacht, dass es dermaßen einfach sein würde, ihn hinters Licht zu führen.
»Du bist voller Ideale«, hatte Faithful ihr einmal gesagt.
»Du bist ein wahrer Häuptling«, hatte sie lächelnd entgegnet.
Er hatte sie geküsst und gesagt: »Ich bin ein Gott.«
Amelia wusste nie, ob er scherzte, wenn er so etwas sagte.
Sie fragte auch nicht weiter nach. Wenn sie allein waren, dann zeigte er ihr manchmal, dass er ein Gott war. Das sollte genügen.
Außerdem war das jetzt nicht wichtig.
In etwa einer Stunde würden sie die erste der fünf Phasen, in die Norris’ Bekehrung aufgeteilt war, beenden. Die erste Phase bedeutete harten Entzug. Für einen Kettenraucher vom Schlage des Gefangenen bedeuteten zwei Tage ohne einen einzigen Zug schlichtweg die Hölle.
Phase zwei würde vier Tage andauern. Norris bekäme ausreichend Zigaretten, Zigarren und Zigarillos UND ein Feuerzeug. Er würde rauchen wie ein Schlot.
Dann käme die dritte Phase: sie würden Norris eröffnen, WAS er in den vergangenen Tagen geraucht hatte. Amelia konnte diesen Augenblick, den Ausdruck in seinen Augen, kaum mehr erwarten.
Phase vier und fünf würden das in Phase drei erreichte Ergebnis festigen.
Ein teuflisches Lächeln breitete sich auf Amelias blassem, vornehmem Gesicht aus.
Norris, dachte sie, wird nie wieder rauchen – und das Beste wird sein: er würde es, mehr oder weniger
Weitere Kostenlose Bücher