Nimmermehr
komme zurück.
Deine Maxine
Vardoulacha
Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Aus diesem Grunde sind Sie schließlich hier. Seien Sie ohne Furcht. Nicht umsonst hat Sie das Schicksal zum Iszten Szek geführt.
Lehnen Sie sich zurück und lauschen Sie meinen Worten. Lassen Sie mich Ihnen von Korfu berichten.
Die schöne Insel. Meine Zuflucht. Korfu – der Ort, den ich zeitweise meine Heimat nennen durfte.
Ich erinnere mich an die langen Spaziergänge durch die kleinen Wälder und hinunter zum Strand. An das wilde Rauschen des Meeres und das Tosen der Wellen an den Klippen. An die seligen Morgendämmerungen, die ich allein verbrachte. Ich saß im Säulengang und im Garten des kleinen Schlosses, das ich zu Ehren des Achill hatte errichten lassen, träumend und dichtend.
Achilleion.
Allein der Name schon.
Sie müssen wissen, dass ich ihn bewunderte.
Niemals wird man verstehen, wie sehr ich ihn bewunderte.
Von all den strahlenden Heroen der Vergangenheit war Achill derjenige, der für mich die griechische Seele und die Schönheit der Landschaft und der Menschen personifizierte. Achill war stark und trotzig und verachtete alle Könige und Traditionen und hielt die Menschenmassen für nichtig – gerade gut genug, um wie Halme vom Tode abgemäht zu werden. Er hielt nur seinen eigenen Willen heilig und lebte nur seine eigenen Träume, und seine Trauer war ihm wertvoller als das ganze Leben.
Wie gut ich mich erinnere.
An jene Stunden.
Tage.
Es roch nach Kräutern und Pinien, nach frischer Erde und feuchtem Gras, nach dem salzigen Atem Poseidons. Dies alles war so weit entfernt von meinem anderen Leben, jenem Leben im Geschirr – mit diamantenbesticktem Staatskleid und einem Diadem im kunstvoll frisierten Haar. Dieser Gefangenschaft in der Hofburg, in deren Mauern ein jeder meiner Schritte argwöhnisch registriert wurde. Wo Ärzte fortwährend glaubten, meinen Körper untersuchen und mich mit weisen Ratschlägen malträtieren zu müssen. Wo aristokratische Affen vor mir buckelten, um hinter meinem Rücken zu lästern und zu intrigieren.
Wien.
Wie ich es verabscheute.
Damals.
Wie ich zu entfliehen versuchte.
Doch selbst jenes Leben auf der Insel war Änderungen unterworfen. Man merkte auch dort den Hauch des Lebens, der Altes hinwegfegte und eine noch fremdere Welt gebar.
Die Welt starb.
Geradeso wie ich selbst. Immer schneller.
Als ich meinen Fuß zum ersten Mal auf die Insel setzte, im Sommer des Jahres 1861, war bereits ein Teil von mir gestorben.
Ich befand mich in der Begleitung zweier Grafen mitsamt eines dreißigköpfigen Gefolges und meines Mannes Bruders, der sich besorgt um mich kümmerte, da mein Gesundheitszustand der Anlass für diese Reise gewesen war. Die eifrigen Ärzte – darunter der kaiserliche Leibarzt Dr. Seeburger und Dr. Fischer, der Hausarzt der bayerischen Herzogsfamilie – hatten händeringend nach Gründen für meine Misere gesucht. Häufige Fieberanfälle, eine allgemeine Schwäche und anhaltende Appetitlosigkeit ließen die Besorgnis in meiner Umgebung gedeihen. Sie verordneten mir Ruhe und Meeresluft. Lange Spaziergänge auf der Insel sollten mich gesunden lassen.
Wie hätten sie auch nur ahnen können, dass die fiebrigen Träume, die mich seit Monaten plagten, dort auf der Insel ihre Manifestation erfahren sollten?
Ihren Blicken entnehme ich Verwirrung.
Kaum verwunderlich.
Wahrlich, ich sollte meine Gedanken ordnen und zum Anfang zurückkehren. Wie eine geübte Scheherazade.
Zurückkehren zum Anfang.
Wie lange ist das nun her?
Zum Beginn.
Zu dem kleinen Mädchen, das seinen Vater, Herzog Max in Bayern, so sehr vergötterte, diesen Vater, der das Abenteuer liebte, der Pferdedressuren in einer Manege in dem Palais in München vorführte, der ferne Länder bereiste und lange Berichte darüber verfasste. Wie so viele Witteisbacher verachtete er die Menschen und liebte das Land und die Natur, kümmerte sich wenig um standesgemäße Gesellschaft und verabscheute die höfische Etikette. Meine Mutter hingegen, Herzogin Ludovika, litt unter meines Vaters Hang zu Affären und beschränkte ihre eheliche Rolle mehr und mehr auf die Erziehung ihrer Kinder.
Wir lebten selten in München. Die meiste Zeit des Jahres verbrachten wir am Starnberger See, an dessen Ufer das Sommerschlösschen meiner Familie lag.
Possenhofen.
Allein der Klang dieses Namens weckt herrliche Erinnerungen.
Abseits vom höfischen Zwang wuchs ich inmitten meiner sieben Geschwister auf.
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