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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Ich sitze hier in einem gemütlichen Raum mit niedriger Holzdecke und schmalen Fenstern und einem kalten feuerlosen Kamin und bringe schleppend diese Zeilen zu Papier.
    Die Menschen sind einfach und freundlich. Ich fühle mich so allein.
    Deine Max
     
    Sir William,
    in manchen Nächten verknüpfen sich lose Gedanken und zartes Verlangen zu einem lauen Traum, und hervor springen spontan geborene Zeilen, die umhertanzen im fahlen Mondlicht einer Sommernacht, so wild und ungestüm, als sei ihnen köstliches Leben eingehaucht worden: Wilder Duft nasser Blätter/ begleitet vom Rauschen/ hoch in den Wipfeln/ aufgeweichtes Laub/ kaltfeuchte Luft/ streift die Haut/ Netzwerk perlender Tropfen/ verwandelt mich eilends/in ein Geschöpf dieser Welt. Und weiter: Fremde tierische Laute/ füllen meine gespitzten Ohren/ Wispern und Rascheln im Kopf/ schlage ich mich durchs Unterholz/ mein Haar zerzaustes Gras/ der Atem unbändig vor Freude/ hineinzutauchen in die Wildnis/ dem neuen Leben entgegen. Und schließlich: in dem ich fortan/ Puck gerufen werde/ auf alle Zeit.
    Und dienen werde ich nur Oberon, ihm und allen Wesen des Waldes, mit jedem Hauch meines Seins.
    Maxine (einstmals »Puck« )
     
    Liebste Julee,
    das raue Wetter auf der Insel und die fremdartige Schönheit der Cuillan Hills lassen mich an die Theaterproben denken; es ist, als wehe die See all die Bilder in meinen Kopf. Du warst die Waldfee, Kyle spielte Oberon, und ich war der Puck. Als sei es gestern gewesen. Glasgow war meine perfekte Welt. Ich durfte Theater spielen, ich lebte mit der besten Freundin der Welt in einer Wohnung in der Govan Road unweit des Flusses, die Abende angefüllt mit endlosen Diskussionen, dem Vortragen selbstverfasster Gedichte und Gläsern voller Wein. Das Theater, die Proben in der kalten Wallace-Hall, die Streifzüge durch die Pubs. Das alles und noch viel mehr, liebste Julee. Dann lernte ich Thomas Miller kennen (ich nannte ihn Sean), und die Dinge begannen sich zu ändern. Ich liebte Sean mit all seinen Eigenheiten: dem aufbrausenden Charakter, der unverhohlenen Sympathie für die Ziele der Sinn Fein, dem ur-irischen Starrsinn und der Vorliebe für alten Whiskey. Doch gab es auch den romantischen Sean, der Shakespeare und Joyce zitierte, der laut singend auf dem Tisch tanzte und es liebte zu kochen.
    Es war eine schöne Zeit. Ich wünschte, sie hätte niemals existiert. Für uns alle wäre es besser gewesen. Nur das, was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Herzen. Das jedenfalls schrieb Nietzsche. Nur diese Dinge bleiben. Und wir können nichts dagegen tun.
    Max
    An Sean Miller:
    Letzte Nacht habe ich von Dir geträumt. Als ich aufwachte, musste ich weinen. Es ist zum Verrücktwerden.
    Am Morgen verließ ich Dunvegan in aller Frühe in einem der auslaufenden Fischerboote. Der Besitzer des Kutters ist mit der Wirtin der Herberge, in der ich die Nacht verbrachte, verwandt. Allen Menschen, denen ich in Dunvegan begegne, erzähle ich die gleiche Geschichte: ich studiere schottische Geschichte, befände mich auf den Spuren des Rebellen Bonnie Prince Charlie, der im Jahre 1746 nach der denkwürdigen Schlacht von Culloden auf die Äußeren Hebriden flüchtete. Im Steuerhaus des Kutters sitzend, schlürfe ich eine Tasse heißen Tees mit einem Schuss Glenfiddich und kritzele die wackligen Zeilen unsicher auf das sich vor Feuchtigkeit wellende Papier. Bonnie Prince Charlie war ein Mann nach Deinem Geschmack, was? Jemand, der für die Freiheit seines Landes kämpfte, ohne die Konsequenzen zu scheuen.
    Du hast mir nie viel über Deine Kindheit erzählt. Was geht in einem Kind vor, das in seiner Heimatstadt an jeder Straßenecke bis zu den Zähnen bewaffnete englische Soldaten patrouillieren sieht? Als ich Dir in Glasgow in einem der Kurse über das moderne Szenario begegnete, hielt ich Dich für einen der vielen Iren, die sich von einem Studium außerhalb ihrer Heimat ein besseres Leben erhoffen. Später erst sprachst Du (wenngleich auch nur sehr oberflächlich und kurz) über die Kindheit im Belfast der 70er Jahre.
    Wie hätte ich ahnen können, dass unsere Begegnung kein Zufall gewesen war?
    Ich war einfach dumm und naiv. Und ich bezahle dafür. Tun wir das nicht alle?
    Max
     
    Liebste Julee,
    vor zehn Minuten habe ich Lochmaddy erreicht. Ich befinde mich jetzt im Gaidhealechd, dem Land der Gälen. Der Kutter, der mich herbrachte, ist bereits wieder ausgelaufen. Ich sitze auf einer Bank vor dem einzigen Laden des Ortes und schaue dem Kutter

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