Nimmermehr
mich von den Zofen ankleiden zu lassen. Ich liebte es, mit dem Kaiser durch die Säle und verwinkelten Gänge der Hofburg ins alte Burgtheater am Michaelerplatz zu gehen. Auch dies wurde uns verboten, weil ganz bestimmte Hofbeamte uns dorthin zu geleiten hatten. Ich musste mich ständig umkleiden, je nach Erfordernis der Situation. Ich musste Empfänge geben und mich den Massen zeigen. Der Tagesablauf wurde mir minutiös von der Erzherzogin diktiert. Sophie bewahrte mit eisernem Willen die kaiserliche Würde. Sie hatte sich selbst zu deren Hüterin ernannt und befürchtete ständig, dass die ungeschickte Kaiserin dem Ansehen des Herrscherhauses schaden könne.
Und der mich treu umsorgende Gatte, mein »Franzi«? Er war seiner holden Mutter hörig. Von frühester Kindheit an hatten er und seine Brüder die Autorität der Mutter ohne Zögern anerkannt. Niemand wagte Widerspruch. Sophie hatte Franz auf den Thron gesetzt, nachdem sie ihren geistesschwachen Mann zum Verzicht bewogen hatte. Sie war diejenige, die die Fäden im Reich zog; sie war es, die die alte Ordnung festigte, die dafür Sorge trug, dass das Gottesgnadentum der Herrscher fortbestand und jeglicher Volkswillen niedergerungen wurde.
Aus ihrer Geringschätzung, meine Person betreffend, machte sie kein Hehl. Ich war die junge naive Kaiserin, deren vornehmliche Aufgabe darin bestand, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren und dem Kaiser einen Erben zu gebären.
Zumindest diesbezüglich stellte ich sie im Jahr nach der Hochzeit zufrieden, als ich einer Tochter das Leben schenkte. Wenngleich die kleine Sophie nicht der erwünschte Sohn war, so stellte sie doch wenigstens meine Gebärfähigkeit unter Beweis (und dies, nachdem Sophie mich während der Schwangerschaft mehrmals in den Garten des Schlosses Laxenburg getrieben hatte, damit ich den flanierenden Massen meinen Bauch präsentieren konnte).
Wie beruhigend, dass ich wenigstens zum Fortbestand des Geschlechts würde beitragen können. Dem ersten Mädchen, das ich kaum zu Gesicht bekam, weil ihre Großmutter die Erziehung an sich riss (was zu ersten Differenzen mit meinem Gemahl führte), folgte zwei Jahre später das nächste, Gisela getauft (welches ebenso der Obsorge der Erzherzogin anheimfiel). Ein Jahr nach Giselas Geburt verstarb Sophie. Die Kaiserinmutter trauerte (wohl auch, weil sie sich dem Kind sehr verbunden gefühlt hatte), doch als ich im Folgejahr einen gesunden Sohn zur Welt brachte, linderte dieser Tatbestand ihre Trauer über alle Maßen.
Endlich hatte ich mich bewährt. Des Kaisers Thronfolger lag atmend in meinen Armen: Kronprinz Rudolf, den der stolze Vater selbst in die Arme nahm und dem wartenden Hofstaat und seinen militärischen Beratern präsentierte (wohingegen er nach den Geburten meiner Töchter enttäuscht das Gemach verlassen hatte).
Es war nicht ungewöhnlich, dass mein Gemahl sogleich nach der Geburt des Jungen dessen Zukunft festlegte: Ich will, dass der durch Gottes Gnade mir geschenkte Sohn von seinem Eintritt in diese Welt an meiner braven Armee angehört. Vielleicht war es aber auch des Kaisers Mutter, die das Leben meines Sohnes plante – so, wie sie alles lenkte und plante.
Nicht ahnend, wie sehr die Dinge sich ändern sollten.
Die Welt begann zu sterben.
Sichtbar für alle, die den Blick nicht niederschlugen.
Der Kaiser indes tobte sich in der Stadtplanung aus. Das Kind sollte ein größeres, neues und eleganteres Wien vorfinden, wenn es heranwuchs. Die mittelalterlichen Stadtmauern wurden eingerissen und ein neues System von Ringstraßen angelegt. Das Ansehen des Kaisers beim Volk musste sich unbedingt verbessern. Österreich und Wien sollten wieder glänzen. Die Menschen schrien nach einer neuen Verfassung, und in den Provinzen brodelte es. Die Geburt eines Kronprinzen hätte ausreichend sein müssen, um die Massen vorerst zu befriedigen. Jedoch wurde nach Rudolfs Geburt nicht gleichsam alles besser, wie es sich mein Mann erhofft hatte.
Fast war es, als würde die Unruhe, die mich befallen hatte, das gesamte Land erfassen. Ich kämpfte mit Schlaflosigkeit und verfasste nächtelang melancholische Gedichte, wanderte rastlos in den Gemächern umher.
Ich reiste mit dem Kaiser nach Böhmen, in die Steiermark und nach Kärnten. Während einer Italienreise spürte ich den Hass der Bevölkerung, die unter der österreichischen Besatzung litt. Es hatte Putschversuche und viele Hinrichtungen gegeben, und die Steuerlast erdrückte die Menschen. Unser Besuch war
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