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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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und politische Unfreiheit sowie die akute Gefahr, in den Krimkrieg hineingezogen zu werden, nährten die Angst im Volk. Österreichs Probleme mit Aufständischen in Ungarn und Böhmen erforderten ein hartes Eingreifen des Kaisers, der mit meiner lieblichen Erscheinung Hoffnung nähren und Elend vergessen machen – und nicht zuletzt seinem eigenen Bild in der Öffentlichkeit Gutes tun wollte.
    Um diesem politischen Ansinnen zu genügen, verließ ich meine Heimat am 20. April des Jahres 1854. Ein Dampfschiff brachte mich bis nach Passau, wo mich die kaiserliche Delegation empfing und bis Linz eskortierte. Dort erwartete mich ein großer mit Rosengirlanden und blauweißen Flaggen verzierter Raddampfer mitsamt der Hochzeitsgesellschaft. Jubelnde Menschenmassen säumten die Donauufer auf dem Weg nach Wien. Ich tat meine Pflicht und winkte ihnen unermüdlich zu. Glocken läuteten, sobald das Schiff die Ortschaften passierte. In Nußdorf bei Wien angekommen, erwartete mich ein pompöser Empfang. Nebst meinem zukünftigen Gatten, der zu mir auf das Schiff sprang, noch bevor dieses richtig angelegt hatte, standen Würdenträger des Reiches, Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen, Aristokraten und Kirchenvertreter unter einem Triumphbogen bereit.
    Die Erzherzogin Sophie betrat gleich nach dem Kaiser das Schiff.
    Da war sie also – die »heimliche Kaiserin«, wie sie von jedermann genannt wurde. Eine kleine Frau mit herrischen Zügen. Bereits damals empfand ich sie als kalt und unnahbar. Ich wurde gemäß der Etikette begrüßt, und es folgte der Einzug in die Stadt.
    Die Erinnerung daran und an die Tage, die folgten, ist wie ein langsamer böser Traum: erneut jubelnde Massen, die sich neugierig drängeln, um einen Blick auf die von neun Lippizanern gezogene Prunkkarosse zu werfen. Lautes Glockengeläut. Dröhnende Artilleriesalven. Fast so, als sei man im Kriegsgetümmel. Ungeschickt bleibe ich beim Ausstieg mit dem Diadem an der Türfassung des Wagens hängen und strauchle. Dann die von tausenden Kerzen taghell erleuchtete und mit rotem Samt drapierte Augustinerkirche. Siebzig Bischöfe und Prälaten, die dem Kardinal assistieren. Die feierliche Zeremonie. Die Rückkehr zur Hofburg, wo der Empfang beginnt. Ich sitze im Audienzzimmer und lasse die Botschafter und Gesandten sich vorstellen. Dann der Hofstaat. Mein erster Nervenzusammenbruch. Ich ziehe mich tränenüberströmt in ein Nebenzimmer zurück und gebe dem Tratsch neue Nahrung. Später dann das Diner. Das Ende der Feierlichkeiten. Die Bettlegeszene. Man führt meinen Mann an mein Bett. Verlegene Stille, unsere Mütter mitsamt Teilen der Dienerschaft wachsam lauschend im Nebenzimmer. Am nächsten Morgen das Frühstück mit den beiden Müttern. Der Erzherzogin kritische Blicke beim Untersuchen der Bettlaken und die Zufriedenheit der Schwiegermutter, als sie nach der dritten Nacht endlich Blutflecken und Körpersäfte entdeckt. Immer neue Empfänge. Das Gefühl, eine Fremde zu sein, auf deren Körper und jeder seiner Bewegungen die gierigen Blicke Vieler ruhen.
    Und letztendlich die bitterste aller Gewissheiten.
    Ich bin in einem neuen Leben gefangen.
    Die Türen des Käfigs hatten sich an jenem Tag geschlossen und dem Vöglein die liebliche Stimme auf immer genommen.
     
    Ihren erstaunten Blicken entnehme ich, dass Sie nun zu ahnen beginnen, wer ich bin. Und entschuldigen Sie die Impertinenz, mit einem süffisanten Lächeln hinzuzufügen: nachdem Sie bereits vorige Nacht erfahren haben, was ich bin.
    Vermutlich kam Ihnen mein Antlitz bekannt vor. Wie man mir mitteilte, waren Sie einige Wochen Gäste im schönen Wien. Bevor es Sie zum Iszten Szek verschlug. Kaum anzunehmen, dass Ihnen meine Porträts entgangen sind.
    Nachdem Sie also nun ahnen, wer ich bin, werden Sie sich natürlich fragen, wie aus mir das werden konnte, was ich bin. Erneut bitte ich Sie um etwas Geduld. Wenngleich ich zu Ausschweifung neige, werde ich mir dennoch Mühe geben, nicht allzu sehr vom Kern der Geschichte abzuweichen. Verstehen Sie, es verschlägt nicht viele Gäste in diese Region, und der Drang, sich mitzuteilen, ist … nun ja … menschlich.
    Doch bitte lassen Sie mich fortfahren.
    Mein neues Leben war ein Leben voller kleiner Kämpfe – und der Gegner war zumeist des Kaisers Mutter. Es waren kleine Kämpfe, in denen ich versuchte, mich zu behaupten und ein kleines Stückchen Freiheit zu bewahren. Ich weigerte mich, meine Schuhe nach einmaligem Tragen zu verschenken. Ich hasste es,

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