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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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eindeutig eine Machtdemonstration, und edelmütig übersahen wir die Unfreundlichkeiten und Sabotageakte der Bevölkerung. Kurz nach dem Besuch in Italien reisten wir nach Ungarn, wo die Menschen ebenfalls nach Unabhängigkeit schrien. Mein Lehrer Graf Mailáth hatte mich mit der Geschichte der Magyaren vertraut gemacht, und ich brannte darauf, die Orte, von denen ich nur gehört hatte, mit eigenen Augen zu besichtigen. Der Stolz dieser Menschen und ihr Widerwillen, sich einer fremden Macht zu unterwerfen, ließen einen Zorn im Volk entstehen, den ich nur allzu gut nachempfinden konnte. Während eines Balles in der Hofburg konnte ich mit dem Grafen Esterházy endlich eine Quadrille tanzen, folkloristische Musik und Tänze genießen und die wundervollen Speisen kosten. Meine Vorliebe für das Reiten schien die meisten Adeligen gleichsam zu überraschen und zu beeindrucken. Wie gern wäre ich länger dort geblieben, doch erforderten dringende Staatsgeschäfte die Abreise nach Wien.
    Die Schatten wurden schmerzhaft länger in jenen Tagen.
    Nisteten sich in den Gesichtern der Menschen ein.
    Nach Beendigung des Krimkrieges hatte sich die Beziehung zu Russland verschlechtert. Meine jüngere Schwester Marie musste unter Tränen den impotenten, geistig schwachen und religiösem Wahn nachhängenden Kronprinzen von Neapel und Sizilien heiraten. Sie wurde siebzehnjährig zur Königin eines Landes, dessen Sprache sie nicht einmal beherrschte – kurz bevor es dort zum offenen Konflikt mit Österreich kam. Ohne zu zögern, schickte der Kaiser Truppen nach Italien und musste eine blutige Niederlage bei Magenta hinnehmen. Kurze Zeit später übernahm er persönlich das Oberkommando über die Truppen. Auch in Ungarn kam es zu ernsthaften Unruhen.
    Während die Welt in Stücke zerfiel, mein Mann an der Front kämpfte, die kleine Marie um ihr Leben fürchtete, die Kinder unter der Obhut der Erzherzogin standen, tagtäglich Hunderte von Verwundeten die Spitäler erreichten, gab meine Schwiegermutter Tees und Diners für die feine Gesellschaft, um von der misslichen Lage abzulenken. Ich selbst ritt täglich stundenlang aus und begann mit Hungerkuren, weil ich hoffte, so der inneren Unruhe, die immer stärker an mir zu nagen begann, Herr zu werden. Disziplin, so sagte ich mir, würde mir den Halt geben, den ich so nötig hatte und den mir zu geben niemand bereit war. Die Kinder bekamen mich kaum zu Gesicht, und der karge Briefwechsel mit meinem Mann zeigte mir nur mehr, dass ich diesen Menschen, der so felsenfest an die Überlegenheit des Militärs glaubte, nie verstehen würde. Die Differenzen mit des Kaisers Mutter wurden immer offener ausgetragen, sodass nun auch der dümmste Lakai davon erfuhr. Der Tratsch um meine Person wuchs und gedieh vorzüglich. Obgleich nicht einmal Dr. Seeburger zugegeben hätte, dass Einsamkeit als eine Krankheit zu bezeichnen war, so konnte ich doch vor mir selbst nicht leugnen, dass je einsamer ich mich fühlte, ich umso weniger Kontakte suchte. Die Pferde waren die einzigen Wesen, in deren Gegenwart ich es aushalten konnte.
    Dann, in der Nacht vor der Heimkehr meines Mannes, hatte ich den ersten jener mysteriösen Träume.
     
    Es waren katzenhafte Augen in einem makellosen Grün, die über meine Haut zu schweifen schienen. Fast war mir, als spüre ich tatsächlich die Berührung dieser stechenden Blicke. Dann wurde ich der Gestalt gewahr, die von Schleiern umhüllt in meinem Gemach stand. Es war eine hochgewachsene Frau mit langem rotem Haar. Mondlicht brach sich auf ihrer weißen Haut. Die schmalen Lippen öffneten sich leicht, wenn sie lächelte. Verwundert fragte ich sie nach ihrem Namen. Sie schien diese Frage amüsant zu finden. Ich habe viele Namen, säuselte sie. Doch nennt mich, wie es Euch beliebt. Sie kam auf mich zu, und jetzt war es ihre Hand, deren Berührung ich an meinem Arm spürte und die mich erschauern ließ. Ich bin diejenige, nach der es Euch verlangt, flüsterte sie. Unsicher fragte ich erneut nach ihrem Namen. Namen sind Staub, gab sie zur Antwort. Doch nennt mich, wie Ihr es bereits in Gedanken getan habt. Stumm hauchte ich den Namen. Die kalten Finger der Gestalt berührten meine Lippen, und ich hörte sie flüstern: Carathis. Ihr Flüstern wurde zu einer Melodie. Einem Lied, das in den Bewegungen ihrer Hände, ihres Körpers eine Form fand. Etwas war in mir. Es schlängelte sich lustvoll in meinen Körper und raubte mir Verstand und Atem. Nie zuvor hatte ich Derartiges

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