Nimmermehr
als Menschen) kann gänzlich ohne Vertrauen leben. So tat ich, was ich immer tat, wenn die Gedanken und Zweifel zu laut wurden in meinem Schädel: ich disziplinierte meinen Körper. Jeden Morgen in der Frühe unternahm ich einen langen Spaziergang durch den Park Schönbrunn, von dem mich selbst die eisige Kälte des Januars nicht abhalten konnte. Ich absolvierte meine Turnübungen und ritt lange aus, frisierte stundenlang mein Haar und aß wenig. Ich zügelte meinen Hunger nach dem frischen Blut des Pöbels und kämpfte gegen den Drang an, auf Beutezug zu gehen.
Dann, im Januar 1866, begleitete ich den Kaiser nach Budapest, wo Andrássy uns in der Hofburg in Buda empfing und einen Ball ausrichtete. Viele der Wiener Hofbeamten belustigten sich voller Missgunst und Schadenfreude an den »schäbigen Kostümen« der Magnaten, den »lächerlichen Attilas« und lästerten über den »schamlosen Csardas«, der auf der Burg getanzt wurde. Es passte zum Kaiser und seinem Klüngel, dass sie dem Temperament der Ungarn mit Unverständnis begegneten. Es wird mir auf ewig verschlossen bleiben, wie sich jemand an der Begeisterung der einfachen Leute, die uns herzlich mit ihren Éljen-Rufen empfingen, nicht erfreuen kann. Die Freudentränen der Menschen waren ohne Scham und Spiel. Es war, als hörte man das Herz dieses Volkes schlagen.
Einzig die Kälte setzte mir in Budapest zu. Erneut plagten mich heftige Hustenanfälle und Schwäche. Ida legte mir nahe, bald wieder auf die Jagd zu gehen. Sie pries die verschlungenen Gassen und Pfade der großen Stadt, die schattenhaften Winkel am Donaukai und die verlassenen Markthallen im Morgengrauen. Ich sträubte mich, und den Grund dafür wollte ich mir nicht eingestehen – was zweifelsohne ein törichtes Verhalten war.
Ich hatte mich in Andrássy verliebt. In ihn oder die stolze Galionsfigur der Magyaren, der ihre Unabhängigkeit über alles ging – spielte das eine Rolle? Er war all das, was der Kaiser nicht war. Und ich wollte ihn nicht verärgern. Ich wollte ihm zeigen, dass ich mich unter Kontrolle hatte. Das Blutbad von Korfu sollte sich nicht wiederholen. Ich würde meine Beute ehren, indem ich schnell tötete. Das war mein Vorsatz. Doch wie so oft strafte das Leben gute Vorsätze Lügen.
Nach einem Streit mit dem Kaiser verließ ich wütend die privaten Räumlichkeiten und begab mich nach draußen, wo ich an der Balustrade stehend auf die erleuchtete Stadt hinunterblickte. Die Stille der nächtlichen Burg umgab mich. Vom Gellertberg auf die erleuchtete Stadt hinabzublicken gab mir das Gefühl zu schweben. In mir tobte Wut. Des Kaisers ignorante Ansichten, seine Völker betreffend, verärgerten mich zutiefst. Das dumme Mädchen, das einst in Ischi mit romantisch verklärtem Blick in die Sonne geblinzelt hatte, wäre besser schon früher tot gewesen. Sie hätte mir damit einiges Leid ersparen können. Doch da stand ich nun, in der eisigen Winternacht, gedachte meiner Kinder, die ich kaum kannte; trauerte um das Leben, das ich hätte führen können; dachte an den Mann, der unerreichbar war für die Kaiserin von Österreich; dürstete nach dem Fleisch in den labyrinthischen Wegen der Stadt. Fast war mir, als hörte ich den Pulsschlag von Millionen. Mir schwindelte. Tränen ließen meinen Körper sich verkrampfen. Der Magen schmerzte, als hätte ich Nadeln hinuntergeschluckt. Ich übergab mich in den tiefen Schnee und zitterte.
Dann begann ich zu laufen. Erst langsam, dann schneller. Ich nutzte die Schatten und witterte einige Arbeiter, die am Donaukai die Lastkähne beluden. Es waren große Männer mit fettigen Haaren und kräftigen Armen, doch kosteten sie mich keine Mühe. Ich schlitzte sie auf, noch bevor sie auch nur ahnten, was über sie gekommen war. Nach dem ersten Mahl zog ich weiter. In den Gassen von Buda fiel ich einen überraschten Nachtwächter an. Dann folgte ich einer jungen Dirne, von deren vollen Brüsten ich trank, als ich von einem Haufen lärmender Soldaten gestört wurde. Ich ließ die Dirne in der Gosse liegen und verließ den Ort der Tat, bevor jemand auf mich aufmerksam werden konnte.
In einer der vielen Gassen, die zur Burg hinaufführten, stieß ich auf Ida Ferenczy, die mich besorgt in die Arme nahm und in meine Gemächer zurückbrachte. Die weise vorsorgende Ida – was hätte ich nur getan, wenn sie mir nicht begegnet wäre, mich nicht in den mitgebrachten sauberen Mantel gehüllt hätte? Sie schalt mein Verhalten töricht und gefährlich. Was, wenn
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