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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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aufzuführen.
    Noch immer ist mir, als könne ich den Weihrauch riechen, als höre ich die Klänge der pathetischen Messe und den feierlichen Gesang. Und Andrássys wissenden Blick, als er während des nachfolgenden Banketts dem Kaiser und mir verkündete, dass dem Königspaar eine Privatresidenz zum Geschenk gemacht würde. Das Schloss Gödöllö mit seinen etwa einhundert Räumen lag eine Wegstunde von der Hauptstadt entfernt, inmitten eines großen Waldgebietes, das sich vortrefflich zu Reitjagden eignete. Bereits des Öfteren hatte ich den Kaiser um den Kauf eines solchen Anwesens gebeten, doch immer hatte er mit einem Verweis auf die Geldsorgen des Staates abgelehnt. Und nun wurde mir mein sehnlichster Wunsch von des Kaisers ungeliebtem Ministerpräsidenten im Namen des ungarischen Volkes erfüllt. Wie sehr genoss ich den Widerwillen in meines Mannes Augen, als er das Geschenk im Namen Österreichs dankend entgegennahm.
    Heimlich machte ich Gödöllö bereits damals zu meiner zweiten Heimat. Es ermöglichte mir, allzeit meinen Ungarn nahe zu sein und dem grässlichen Wiener Hof zu entfliehen. Dort konnte ich Andrássy empfangen, lange Gespräche mit ihm führen und auf kräftigen Pferden durch die prächtigen Wälder preschen. Ich gestattete dem Kaiser sogar, sich erneut mit mir zu vereinigen. Das Kind, welches aus dieser Verbindung hervorging, sollte ganz dem ungarischen Volk gehören. Die Taufe der kleinen Valerie fand in Budapest statt, und in der Zwischenzeit tratschte man in Wien, dass dies nur das Kind Andrássys sein könne. Wie dumm der Pöbel doch war. Man sprach abfällig vom »ungarischen Kind« und missbilligte die überaus starke Zuneigung, die ich der Kleinen entgegenbrachte. Durch die süße Valerie erfuhr ich, was für eine Glückseligkeit ein Kind bedeutet. Ich fand den Mut, es zu lieben und bei mir zu behalten. Von Beginn an entzog ich die Kleine dem Zugriff der Kaisermutter. Wenngleich diese grässliche Frau auch tobte, duldete ich jetzt keinen Widerspruch mehr. Die Exekution ihres Lieblingssohnes Maximilian von Mexiko hatte ihr stark zugesetzt – was ich mir zunutze zu machen wusste.
    Valerie reiste so oft wie möglich mit mir nach Gödöllö, wo sie die ungarische Sprache erlernte und die Bräuche der Magyaren kennenlernte. Ohne den Einfluss der Kaisermutter konnte ich die Kleine nach meinem Willen formen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich ein Kind, welches mir gehörte.
    Hätte ich auch nur geahnt, welch schreckliche Bewandtnis es mit den Kindern hatte, so wäre ich nie dem törichten Bestreben verfallen, ihnen Liebe entgegenbringen zu wollen.
     
    Doch nun, meine geduldigen Zuhörer, ist es an der Zeit – Ihnen von meinen Kindern zu berichten. Von Gisela und Rudolf, die mir so fremd waren. Von Valerie, die mich auf vielen meiner Reisen begleitete. Und von Ludwig, der sich mir am Ende verweigerte. Oh ja, ich kann Ihren vermutenden Blick bestätigen. Die Welt der Könige und Kaiser ist klein, und es war von Ihnen zu erwarten, dass Sie bei der Nennung des Namens aufmerksam werden würden.
    Doch lassen Sie mich der Geschichte nicht vorgreifen.
    Sie müssen es mir glauben – auf eine eigentümliche Weise war er mein Kind gewesen: Ludwig. Mein liebster Cousin, dem ich mich so verbunden gefühlt hatte. Wie oft unternahmen wir lange Spaziergänge und sprachen über die Musen. Ludwig, der König der Bayern, der die Einsamkeit liebte und die höfischen Zwänge hasste. Der Adler, der mir seine Seele offenbarte und es mir dennoch nicht ermöglichte, das Wesentliche zu erblicken. Ganz unverhohlen kann ich von mir behaupten, dass ich ihn geliebt habe. Ludwig, der schönen Männerkörpern huldigte und diesen genialen Schmarotzer Wagner protegierte; der den armen Kaintz, einen Schauspieler mit betörender Stimme, bis zur Erschöpfung Klassiker zitieren ließ; der sich mit meiner kleinen Schwester verlobte und dennoch keine Augen für die weibliche Sinnlichkeit hatte. Sein Umfeld mokierte sich über seine Neigungen, verabscheute die Orgien mit nackten Männern und jenen Enthusiasmus, aus Bayern ein Kulturland zu machen.
    Bereits damals verstand ich, dass seine Verehrung für die Reinheit der Frauen umso tiefer empfunden war, je stärker er seine höfischen Jünglinge begehrte. Er saß in seinem goldenen Käfig und versuchte, den Visionen aus seinem Geist Gestalt zu verleihen, indem er die Staatskasse für den Bau von Opernhäusern und prächtigen Schlössern plünderte. Ludwig besaß den Mut, das

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