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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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die Kaiserin von Österreich mit blutdurchtränktem Kleid und blutigen Lippen an den Hof zurückgekehrt wäre? Weder Ida noch ich selbst wollten die Antwort auf diese Frage hören. Ich hatte unvernünftig gehandelt, und es war nicht zu verheimlichen, dass ich erneut einem Blutrausch erlegen war. Benommen ließ ich mich zu Bett bringen und hoffte, dass Andrássy nichts von alledem erfuhr. Ihn zu enttäuschen wäre das Letzte gewesen, was ich gewollt hätte.
    Jedoch erfuhr er schon bald von meinem nächtlichen Ausflug. Denn es war jene Dirne, die ich so achtlos in der Gosse hatte liegen lassen, die schon in der folgenden Nacht ihre Kundschaft infizierte. Ich hatte das Miststück in der Eile, unentdeckt zu bleiben, nicht getötet – ein schweres Missverhalten. Sie war zu einem Schatten geworden, zu einer derjenigen Kreaturen, von deren traurigem Schicksal ich auf Korfu erfahren hatte. Sie dürstete es nach Blut, doch war sie kein Wiedergänger. Sie steckte jeden Menschen, den sie biss, mit ihrer Krankheit an. Glücklicherweise gehörten ausschließlich Arbeiter aus Buda ihrem Kundenkreis an, sodass nach zwei Tagen der Verdacht laut wurde, in diesem Stadtteil seien Fälle von Cholera aufgetreten. Die Epidemie breitete sich aus, und die Ärzte taten ihr Bestes, um des seltsamen Krankheitsbilds Herr zu werden. Es gab Gerüchte von Menschen, denen trotz der Kälte die Haut verbrannte, sobald sie ans Tageslicht traten. Man berichtete von bleichen Gestalten, die sich in dunklen Ecken zusammenkauerten, husteten und knurrten. Einige wurden ins Irrenhaus gesteckt, wo sie schnell verstarben. Ich hörte, wie man den Kaiser von den Vorfällen in Kenntnis setzte und sich darauf einigte, dass man es hier mit der Cholera zu tun haben müsse. Als ich im Sommer desselben Jahres erneut nach Budapest reiste, dieses Mal mit den beiden Kindern, hatte sich die Cholera über weite Landstriche verbreitet, und die Zahl der Seuchentoten stieg rapide an.
    Muss ich erwähnen, dass mich Andrássy für mein Verhalten schalt? Er rief mir Korfu ins Gedächtnis und ließ sich über die Folgen meiner Pflichtvergessenheit aus. Er erbat Disziplin von seiner Kaiserin. Nie wieder dürfe ich dem Blutrausch erliegen, nie wieder einen Menschen zum Schatten machen. Es war nicht zu leugnen, dass ich großes Unheil über das Land gebracht hatte. Trotzdem sei ich noch eine junge Wiedergängerin und unerfahren, wenngleich ich das Gegenteil glauben mochte. Ich solle den Ratschlägen Idas Folge leisten.
    Ich gab mich versöhnlich – und kehrte schon bald mit all den guten Vorsätzen ins verhasste Wien zurück.
     
    Wieder die Gefangene der Hofburg, musste ich feststellen, dass die anti-ungarische Stimmung in der Hauptstadt nur mehr zugenommen hatte. Der Kaiser stand unter einem starken Druck. Österreich wurde von den Armeen Preußens und Italiens bedroht, täglich kamen Züge mit Verwundeten in Wien an, und Frankreich dachte nicht daran, uns zu Hilfe zu kommen.
    Die alte Welt ging immer mehr zugrunde. Jeder konnte es sehen, und niemand wollte es wahrhaben. Erst als Österreich in den Friedensverhandlungen gezwungen wurde, die italienischen Provinzen aufzugeben und aus Deutschland auszutreten, erwachten die Menschen. Die Reparationszahlungen an die Preußen schmerzten, weil die böhmischen Länder sofortige Lebensmittelhilfe erbaten; die deprimierten österreichischen Soldaten wurden von Cholera und Typhus dahingerafft, und in Ungarn schürte man den Aufruhr. Niemand konnte die Zeichen der Zeit ignorieren – und der Kaiser wurde letztlich zum Handeln gezwungen.
    Im Jahre 1867 kam endlich der »Ausgleich« zustande. Am 17. Februar wurde die alte ungarische Verfassung wiederhergestellt, und aus dem Kaiserreich wurde der Doppelstaat Österreich-Ungarn. Es gab zwei Hauptstädte, zwei Parlamente und zwei Kabinette. Andrássy wurde zum ersten Ministerpräsidenten der Magyaren ausgerufen, und Déak huldigte seinem Gefährten in einer denkwürdigen Rede. Am 8. Juni fand die Krönungszeremonie in der Stephanskirche auf dem Geliertberg statt. In einer feierlichen Messe wurde Franz zum König gesalbt. Andrássy setzte ihm persönlich, in Vertretung des Palatin, die Krone auf. Danach hielt Gyula die Krone über meine rechte Schulter und machte mich mit einem Lächeln auf den Lippen zur Königin von Ungarn. Selbst Franz Liszt nahm die Strapazen der Reise auf sich und kam aus dem fernen Rom herbeigeeilt, um seine eigens für diesen Tag komponierte Krönungsmesse

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