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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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herzlich die Hand und stellte sich mir als Hans Grillparzer vor, Kastellan von Burg Metzengerstein. Das Mädchen, das hinter ihm stand, trug eine bunte Norwegermütze und einen Schal, den es über den Mund gezogen hatte. Dazu eine Bundeswehrjacke mit Kapuze, Bluejeans und feste Wanderschuhe.
    Sie reichte mir ihre Hand.
    »Ich bin Greta Grillparzer.« Sie zog den Schal vom Mund und lächelte freundlich.
    »Jonathan Morgenstern«, sagte ich.
    So klopfte das Schicksal an die Tür.
     
    Sie trug ihr blondes Haar kurz geschnitten und zerzaust, als sei sie gerade aus einem tiefen unruhigen Schlaf aufgeschreckt und eilig in ihre Sachen geschlüpft. Auf den ersten Blick schien sie ganz anders zu sein als die Mädchen in der Schule.
    »Die Burg«, erklärte sie mir, nachdem ihr Vater den Wagen vor dem Burgtor geparkt und uns zum Aussteigen aufgefordert hatte, »wurde vermutlich im frühen zwölften Jahrhundert erbaut. Es könnte aber auch früher gewesen sein.« Aus der Nähe wirkten die Mauern und Gebäude noch um ein Vielfaches gewaltiger. »Erstmalig erwähnt wurde sie im Jahre 1268. In den Schriften eines englischen Mönchs, der dem Grafen seinerzeit als Schreiber gedient und die ersten Chroniken der Familie angefertigt hatte. Vincent Usher war sein Name.«
    Das Kopfsteinpflaster zu unseren Füßen war von einer dünnen Eisschicht überzogen, und man musste höllisch darauf achten, nicht auszurutschen.
    Hinter uns wendete Hans Grillparzer den rostigen Rover und machte sich mit aufheulendem Motor daran, den steilen Hang hinaufzukriechen, was ihm, den Schneeketten sei Dank, auch gelang. Nur Augenblicke später hatte das Schneegestöber den Wagen und alle Geräusche verschluckt.
    »Hörst du das?«, fragte Greta.
    Ich lauschte. »Was denn?«
    »Die Stille.«
    Ich sah sie an. Es war kein Scherz gewesen.
    »Wann hast du das letzte Mal eine solche Stille gehört?«
    Wenn man darauf achtete, dann wurde einem schnell klar, dass nicht einmal ein Vogel sang. Dafür krächzte irgendwo im kalten Winterwald ein Rabe, ganz kurz. Dann war es wieder still. Da war nur das sachte Herabfallen der Schneeflocken, die ein dahingehauchtes Geräusch, das gar kein richtiges war, verursachten. Nicht einmal der Wind pfiff. Es war einfach nur still.
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich.
    »Als ich klein war«, gestand sie mir, »da hat mir diese Stille oft Angst gemacht.«
    Ganz helle Augen hatte sie, wie ein Schlittenhund.
    Ich folgte ihr über das rutschige Kopfsteinpflaster bis hin zu dem verwitterten Burgtor, wo wir durch eine enge, niedrige Tür aus massivem Holz schlüpften.
    »Das nennt man das Mannsloch«, erklärte Greta mir die schmale Tür, die in einen der Torflügel eingelassen war. Sie schien es zu mögen, Dinge erklären zu können.
    Mit eingezogenen Köpfen schlüpften wir durch die Tür – das Mannsloch – in den Burghof hinein, und mir war, als sei die Zeit während der letzten achthundert Jahre zum Stillstand gekommen. Der Steinboden, auf dem wir uns bewegten, war uneben, urtümliches Felsgestein in roher Schönheit. Die Wohngebäude reckten sich zu allen Seiten in den Himmel. Die steilen Dächer waren mit schwarzem Schiefer gedeckt.
    »Das Rübenacher Haus dort drüben«, erklärte Greta, »ist das größte der sechs Häuser, aus denen die Burg besteht. Außerdem gibt es noch die Häuser Rodendorf, Naunheim und Mörz und die beiden Kempenicher Häuser.« Ein Hund kam uns entgegen. Ein Labrador. »Die Häuser wurden übrigens nach denjenigen Orten benannt, auf die sie einen Ausblick ermöglichen.« Die neugierigen Augen musterten mich argwöhnisch. »Sag mal, interessiert dich mein Gequatsche überhaupt?« Der Hund bellte und wedelte freundlich mit dem Schwanz. »Das ist Zero«, stellte sie mir den Labrador vor.
    »Toller Name.«
    »Er versteckt immerzu seine Knochen und findet sie nicht mehr wieder.«
    »So was passiert.«
    »Er ist alt, musst du wissen.« Sie lachte und ließ sich die Hand lecken. »Und deswegen sucht er den ganzen Tag danach.«
    Fröhlich beschnupperte mich das Tier. Den treuen Hundeaugen konnte man vermutlich keinen Wunsch abschlagen.
    »Wegen vorhin«, murmelte ich, nachdem Zero das Weite gesucht hatte. »Tut mir leid. Aber ich war mit den Gedanken gerade woanders. Hat nichts mit dir zu tun. Oder der Burg.« Die Aussicht, mit jemandem über meine Probleme sprechen zu können, wirkte verlockend. »Es ist nur …«
    »Ja?«
    Ich schluckte. »Nichts.«
    Unsere Blicke trafen sich. Für einen Moment

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