Nimmermehr
nur.
»Schon okay«, meinte sie.
»Es ist schön hier«, gestand ich.
Sie zog eine Grimasse.
»Nein, ehrlich. Ich meine es ernst.«
Die aus den grauen Wänden hervorstehenden Erker zeugten von geschickter Fachwerkskunst. Weiße Flächen, durchzogen von schwarzen Balken, inmitten dieses Geflechts verborgen, kleine tief liegende Fenster.
»Im Rübenacher Haus befindet sich unsere Wohnung«, fuhr Greta fort. »Dort bin ich aufgewachsen.« Sie war wirklich sehr mitteilsam. Andauernd redete sie. »Außerdem gibt es dort ein kleines Büro und ein mickriges Büdchen für Andenken. Dort oben«, fuhr sie fort, »ist dein Zimmer.« Ich folgte ihrer Hand und schaute zum Bergfried hinauf und wurde dort oben eines kleinen Fensterchens gewahr. »Genau dort«, bestätigte Greta meine Vermutung.
»Luftig.«
Sie grinste.
»Geboren bin ich übrigens im Haus Mörz.«
Verwundert hielt ich inne.
»Du bist hier auf der Burg geboren?«
»Meine Eltern sind nicht von hier. Papa lernte meine Mutter in Freiburg kennen. Mama studierte dort Geschichte. Wie Papa. In einem Seminar über den Hundertjährigen Krieg haben sie sich kennengelernt. Ist das nicht romantisch?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Nach dem Studium, als beide noch keine richtige Anstellung hatten, reisten sie durch Deutschland, und als sie hier ankamen, suchte der Besitzer der Burg, Dr. Robert Graf zu Metzengerstein, gerade einen neuen Kastellan. Zufälligerweise. Tja, so sind wir im Breitenbachtal gelandet. Und so kam es, dass ich hier geboren wurde. Dort drüben, hinter dem schmalen Fenster mit dem Buntglas.«
Ich fragte mich, wie es wohl sein mochte, in einer Burg aufzuwachsen.
»Du bist sehr gesprächig«, sagte ich.
»Du nicht.«
»Hm.«
»Gleich lernst du meine Großmutter kennen.« Sie steuerte zielstrebig auf eine massive Holztür zu, aus deren Mitte uns ein großer Tierkopf mit einem eisernen Ring im Maul anstarrte. »Papa muss noch nach Münstermaifeld. Besorgungen machen.« Sie klopfte lautstark mit dem Eisenring gegen die Tür. »Außerdem muss er meine Mutter abholen.«
»Arbeitet sie dort?«
Gespielt verwundert, sah Greta mich an. »Hey, du hast ja eine Frage gestellt.«
Ich zog ein Gesicht.
Hielt mich an meinem Koffer fest.
»Ich bin nicht so geschwätzig«, gestand ich ihr. »Nicht heute.«
Sie nickte.
Zog sich die Mütze vom Kopf, zerwuschelte ihr Haar.
Mit einem Knarren öffnete sich die Tür mit dem Tierkopf.
»Du musst Jonathan Morgenstern sein«, begrüßte mich eine alte Frau mit lockigem schlohweißen Haar. »Unser winterlicher Gast mit dem klangvollen Namen.« Lachend ergriff sie meine Hand und schüttelte sie herzlich. »Ich bin Luzia Grillparzer.«
»So viele interessante Geschichten leben hier«, sagte Greta später, »und viele Geheimnisse ruhen in den kalten Mauern.«
Bei einem Stück selbst gebackenem Stollen und heißer Schokolade, die mich beide an die Winternachmittage meiner Kindheit zurückdenken ließen, erfuhr ich zum ersten Mal von dem Bildnis des traurigen Junkers.
»Er ist verschwunden«, erklärte mir Greta.
Natürlich dachte ich, dass es das Bild wäre, das verschwunden war.
»Nein, nicht das Bild«, verbesserte sie mich. »Nur der Junker darinnen.«
»Wie kann eine Figur aus einem Bild verschwinden?«
Luzia Grillparzer hatte ihrer Enkelin die Neuigkeit am Vortag mitgeteilt.
»Niemand kennt seine Geschichte«, erklärte Greta mir.
Luzia Grillparzer, die ihrer Enkelin die strahlend blauen Augen vererbt hatte, bemerkte während jener kurzen Augenblicke, in denen ich aus dem Wintermärchen in die wohlige Wärme hineintrat, ganz nebenbei, dass mein Vater wohl erst nach den Feiertagen auf Burg Metzengerstein eintreffen würde.
»Er wird heute Abend anrufen«, versicherte mir die alte Frau, deren Gesichtszüge unverkennbar die ihrer Enkelin waren. »Es gibt da wohl noch einige Termine, die er wahrnehmen muss.«
»Ja«, erwiderte ich, »die gibt es immer.«
Kurz darauf führte Greta mich die gewundene Treppe des Bergfrieds hinauf.
»Dort oben ist die Gästekammer«, sagte sie.
»Klingt nett.« Ich schleppte den alten Koffer, dessen bereits abgenutzte Ecken gegen die steinernen Treppenstufen stießen.
»Es geht dir nicht wirklich gut«, stellte sie fest, ohne sich nach mir umzudrehen.
Ich fragte mich, ob ich ihr antworten sollte.
Schließlich sagte ich: »Nein, nicht wirklich.«
»Willst du sie mir erzählen?«
»Was?«
»Deine Geschichte.«
»Da gibt es nichts zu
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