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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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dem Nichts gekommen war. Schlimme Dinge hatte meine Mutter gesagt, bevor die Tür endgültig hinter ihr ins Schloss gefallen war und dieses Geräusch eine Leere hinterlassen hatte, die sich seit jenem Moment in unser aller Herzen ausgebreitet hatte. Dinge, die sie meinem Vater ins Gesicht geschrien hatte, so dass seine sonst so beherrschten Gesichtszüge in tausend Scherben zersprungen waren. Dinge, die kein Kind seine Eltern sagen hören möchte.
    »Man kann sich sein Leben oft nicht aussuchen«, pflegte Luzia Grillparzer, Gretas Großmutter, zu sagen.
    Spontan hatte mein Vater daraufhin den Auftrag angenommen.
    »Was hältst du davon, die Ferien auf Burg Metzengerstein zu verbringen?«
    Er war in meinem Zimmer aufgetaucht, hatte im Türrahmen gestanden, irgendwie unbeholfen, in seinen Cordhosen und dem blauen Hemd, das er so mochte und an dem er jetzt, nachdem meine Mutter gegangen war, noch mehr zu hängen schien, weil sie es ihm im vergangenen Jahr geschenkt hatte. Den ganzen Tag über war ich durch die Innenstadt geschlendert, wo einlullende Weihnachtsmusik aus jedem Geschäft erklang. Eine Weile hatte ich mich auf der Domplatte herumgetrieben und den eisigen Wind in meinem Gesicht gespürt. Eine Gruppe kleiner Kinder hatte alte Kirchenlieder gesungen. Irgendwann war es dann unangenehm geworden. Eisspitzen auf der Haut hatten mich an die Schneekönigin denken lassen. Die Hände tief in die Taschen meines Parkas vergraben, war ich verdrossen nach Hause gestapft. Wo mein Vater nur darauf gewartet hatte, in die Stille meines Zimmers einzudringen, um mir diese seltsame Frage zu stellen, als ich gerade in einen Comic von Will Eisner vertieft war.
    »Was hältst du davon, die Ferien auf Burg Metzengerstein zu verbringen?«
    »Nie davon gehört.«
    Irgendwie antwortete ich ihm immer öfter auf diese Weise. Kurz angebunden.
    »Es müssen einige Bilder restauriert werden.« Er betrachtete gedankenverloren die Flut von Comicalben, die sich überall in meinem Zimmer stapelten, auf dem Boden, in den Regalen, selbst auf dem Fensterbrett und unter dem Kleiderschrank. »Das Übliche.« Er sah mich nicht an. Das tat er in letzter Zeit nie. Nicht mehr. »Ich dachte, dass uns eine Luftveränderung guttun würde.«
    »Ja.«
    Beide wollten wir hier weg.
    Fort aus diesem Haus, wo alles daran erinnerte, dass jemand fehlte.
    »Dann wirst du mich begleiten?«
    »Ja.«
    So war es also beschlossene Sache gewesen.
    Während mich der Zug meinem Ziel immer näher brachte, betrachtete ich den grauen Rhein durch ein regentropfenbesprenkeltes Fenster. Bahnhöfe rasten draußen vorbei, so schnell, dass sich die Konturen der Gebäude und Menschen von der Geschwindigkeit des Zuges verwischen ließen. Remagen. Andernach. Koblenz. Vereinzelt erkannte ich hoch oben auf den Weinbergen alte Burgen, nur mehr Ruinen, zerfallen und traurig.
    In allerletzter Minute hatte mein Vater einen Rückzieher gemacht. Statt gemeinsam mit mir das Gepäck im Wagen zu verstauen, hatte er mich zum Kölner Hauptbahnhof gebracht, mir einen Fahrschein in die Hand gedrückt und versprochen, in den nächsten beiden Tagen nachzukommen.
    »Was ist das für ein Termin?«
    »Etwas Geschäftliches.«
    Er wusste, dass er ein schlechter Lügner war.
    Und ich wusste, dass es etwas mit meiner Mutter zu tun hatte.
    »Bis dann«, sagte ich zum Abschied.
    Er nickte. »Pass auf dich auf.«
    Wir sahen uns an.
    Das Schweigen, das uns umgab, war unangenehm.
    »Mach ich.«
    In diesem Augenblick war mir, als habe ich kein Zuhause mehr. Als stünde ich auf dem Bahnsteig in einer fremden Welt, den alten Koffer meines Opas in der Hand und auf den Zug wartend, der mich einfach nur fortbringen würde. Weit, weit weg. Bis zum dritten Stern, wo ich rechts abbiegen müsste, und dann immer weiter bis zum Morgengrauen. Mein Opa war oft verreist. Ich dachte an ihn, und mir fiel auf, dass ich das schon lange nicht mehr getan hatte.
    Irgendwie war mir, als hätte ich meine Heimat verloren.
    Alles, was mir bis dahin treu und lieb gewesen war.
    »Burg Metzengerstein«, sagte mir Greta Grillparzer später, »ist meine Heimat. Das war sie schon immer.«
    Sie wusste, wo sie hingehörte.
    Darum beneidete ich sie.
    »Wie alt bist du?«, wollte sie wissen, als wir uns begegneten.
    »Sechzehn.«
    »Hey, wie ich.«
    Sie stand neben ihrem Vater, der eine Flanelljacke trug und dazu eine ähnlich gemusterte Mütze mit Ohrenklappen, feste Stiefel und dicke Handschuhe. Er zog einen Handschuh aus, schüttelte mir

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