Nimmerzwerg
Haar besaß eine beinahe weiße Farbe. Der gesamte Boden der Höhle wurde davon wie von einem Teppich bedeckt, wobei in einigem Abstand zueinander und ohne sichtbare Ordnung zahlreiche Gegenstände in das Barthaar eingeknotet waren. Auf den ersten Blick erkannte Blechboldt einige Humpen und zwei Hämmer, unweit davon einen alten Helm. Und daneben einen ledernen Stiefel. All das war fein säuberlich in das allgegenwärtige Barthaar geknotet worden.
Zweibart bemerkte ihr Staunen wohl.
„Das sind die Gaben der Entzwergten“, sagte er. „Sie opfern dem Bart, um ihm zu danken. Für seine Weisheit, die Kraft und die Zuversicht, die er uns gibt.“
Fazzgadt zwang sich, den Blick von den Opfergaben abzuwenden, und schaute Zweibart an. „Sie opfern ernsthaft einem Bart?“
Auch Blechboldt blickte den Kuttenträger fragend an, während der General in die Knie ging, um das Haar am Boden zu betasten.
Der Zwipfelbart nickte bedächtig, während er wohlwollend Lunt Glimmboldt betrachtete, der glucksend und auf allen vieren über den Boden kroch.
„Das tun sie. Sie opfern ihm und folgen ihm. Denn es ist nicht irgendein Bart…“
Fazzgadt nickte und ließ den Blick erneut über die Wände schweifen.
„Naja, zunächst einmal ist es verdammt viel Bart. Und darum ist es wahrscheinlich auch wirklich klug, hier drinnen keine normalen Fackeln zu verwenden.“
„Aber was für eine Art Bart ist dieser Bart denn genau?“, fragte Blechboldt. „Was macht ihn so besonders?“
Zweibart lächelte lediglich vielsagend. Und dann erklang vom Ende der Höhle her eine schwache alte Stimme: „Es ist meiner.“
Die Gefährten drehten die Köpfe und blinzelten in die nahezu finstere Höhle hinein. Und dann erkannten sie den Ursprung des Barts. Am Ende der Höhle lag, auf einem steinernen Lager, den Oberkörper erhöht, ein Zwerg, von dem jedoch kaum mehr als das Gesicht zu sehen war. Der Rest seines Körper war unter dem wuchernden weißen Haar begraben, das sich von seinem Lager aus seinen Weg durch die gesamte Höhle suchte.
Selbst aus der Entfernung und im spärlichen Licht der Höhle war dem Gesicht anzusehen, dass dieser Zwerg uralt sein musste. In Anbetracht der Länge seines Bartes, konnten die Gefährten davon ausgehen, dass dies wahrscheinlich der älteste Zwerg war, dem sie je begegnet waren.
Während Lunt Glimmboldt, der sich inzwischen gänzlich in den langen Haaren verfangen hatte, quietschend über den Boden kugelte, betrachteten die Zwerge ehrfürchtig den Uralten auf seinem steinernen Lager. Die Stimme des greisen Zwergs war kaum mehr als ein brüchiges Flüstern. Doch durch die besondere Beschaffenheit der Höhle wurden seine Worte so sehr verstärkt, dass die Gefährten jede einzelne Silbe genau verstehen konnten.
„Sie nennen mich Allvater, die Wurzel allen Seins, und haben mir im Laufe der Jahrhunderte beinahe ebenso viele Namen gegeben, wie euer Hohepriester Titel hat. Meinen wahren Namen haben sie vergessen. Denn er ist nur eine schmerzhafte Erinnerung an die andere Seite des Vergessens…“
Die Stimme schwieg für einen Moment. Es wirkte fast, als ob der Alte Kraft für seinen nächsten Satz sammeln musste.
Blechboldt und Fazzgadt verspürten das Verlangen, niederzuknien vor diesem Zwerg, der, Schicksalszwerg hin oder her, in seinem Leben gewiss mehr gesehen und erlebt hatte als sie alle zusammen. Kaum aber, dass die beiden Anstalten machten, auf die Knie zu gehen, erklang erneut die zittrige Stimme des Alten, die etwas von einem bröckelnden Fels hatte: „Ihr tätet gut daran, aufrecht zu stehen. Denn so wie ihr das Alter und die Herrschaft ehrt, so ehre ich den Willen der Götter. Und so wie ich für das eine stehe, so steht ihr für das andere.“
Die Worte des Alten verwunderten die Zwerge ein wenig. Dieser lebende Bart sprach vom Willen der Götter, so wie der Verwalter und der Hohepriester es stets getan hatten, oben in den Gängen des Imperiums. War denn wirklich alles hier unten, selbst das Denken und das Sprechen, nicht mehr als ein bloßes Zerrbild des Imperiums?
Der Alte lächelte, seine Mundwinkel hoben sich, und einige seiner Barthaare zuckten bis ans hinterste Ende der Höhle. Rasselnd holte er tief Luft.
„Selbst im trüben Licht der Flammsteinfackeln vermag ich mit meinen schlechten Augen noch das Staunen in euren Blicken zu sehen. Ihr fragt euch, was sich ein Entzwergter, der euch eigentlich fressen und eure Bärte rauchen sollte, um die Götter schert… Die Antwort ist
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