Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
Intendanten hatte, der ihm zugewiesen worden war. Der blonde Schuelerit, der ein Vierteljahrhundert jünger war als Zagyrsk mit seinen siebzig Jahren, war ein Priester aus Leidenschaft. Zugleich zeigte Aimaiyr bemerkenswert viel Mitgefühl – um ehrlich zu sein deutlich mehr, als Zagyrsk bei einem Schueleriten erwartet hätte.
Und trotz seines Postens als Intendant der Provinz Tarikah hegte Aimaiyr ganz offenkundig gewisse Vorbehalte, was die Vorgehensweise des Großinquisitors betraf. Ja, so vorsichtig er auch dabei war, seine eigenen Gedanken in Worte oder gar in Schriftform zu fassen, hatte er mit manchen Äußerungen Zagyrsk schon mehr als einmal ernstlich nervös gemacht. Denn Zhaspahr Clyntahn war auch schon vor dem Heiligen Krieg ein äußerst gefährlicher Mann gewesen. Der Erzbischof war erstaunt, dass ein derart unabhängig denkender Mensch wie Aimaiyr in Clyntahns Inquisition so hoch hatte aufsteigen können. Dennoch: die aktuellen Entscheidungen der Inquisition beunruhigten seinen Intendanten spürbar – insbesondere, dass in letzter Zeit so häufig die Strafen Schuelers in ihrer ganze Härte verhängt wurden.
Trotz all seines Mitgefühls focht auch Pater Ignaz mit Feuereifer gegen die Ketzerei. Denn für ihn hatte erst das Beharren der sogenannten Kirche von Charis auf unabhängiges Denken die Einheit und die Zentralstellung von Mutter Kirche unterminiert. Es durfte nicht sein, dass der persönlichen Beziehung zu Gott selbst dann mehr Bedeutung beigemessen wurde, wenn sie im direkten Widerspruch zu den Lehren von Mutter Kirche stand. War diese Grundlage erst einmal zerstört, war die gesamte Kirchenlehre unweigerlich dem Untergang geweiht. Dann konnten Fehlentscheidungen und Irrtümer die Lehren der Erzengel beflecken. Nie durften die Kinder Gottes vergessen, dass die Erzengel persönlich Mutter Kirche mit der Aufgabe betraut hatten, jene Lehren zu bewahren. Und was war mit all diesen neuen Gerätschaften, Techniken und Höllenmaschinen, die unablässig im Kaiserreich Charis hervorgebracht wurden? Pater Ignaz sah darin die Klauen Shan-weis, die erneut nach den Menschen griffen. Ja, es betrübte den Intendanten sehr, dass der Großinquisitor bereit war, mit eiserner Knute für Disziplin zu sorgen. Doch noch mehr beunruhigte ihn, mit welcher Bereitschaft Clyntahn den Soldaten Gottes Dispens auf Dispens für die Nutzung vieler eben jener verderblichen Neuerungen erteilte.
»Ich muss Ihnen recht geben, Pater: Je mehr und eher wir zu einer Art Normalität zurückkehren, desto besser«, erwiderte der Erzbischof. »Allerdings frage ich mich, inwieweit das derzeit überhaupt gelingen kann.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Während die Armee in Stadt und Umland stationiert war, ließ sich leicht vergessen, wie leer unsere Stadt mittlerweile ist. Also wird jetzt, selbst mit all den zusätzlichen Schauermännern und Schleppkahn-Besatzungen, diese Leere allzu offensichtlich werden – und zwar jedem hier.«
Aimaiyr neigte den Kopf, um anzudeuten, dass er seinem Erzbischof nicht widersprechen konnte und wollte. Die Bevölkerung der Provinz und Erzdiözese Tarikah war im vergangenen Winter arg gebeutelt worden. Schon vor dem ›Schwert Schuelers‹ hatten es in dieser Provinz weniger als eine Million Einwohner gegeben: Nie waren die Einwohnerzahlen etwa auf die Höhe derjenigen anderer Provinzen geklettert. Hunger und Entbehrungen hatten den Landstrich nun drastisch entvölkert, um zwei Drittel oder mehr. Denn trotz der bitteren Kälte waren auch viele geflohen. Sie wollten ihr Glück in den Randstaaten versuchen, vielleicht sogar in den Tempel-Landen selbst. Rings um die Städte und Dörfer von Tarikah gab es zahllose aufgegebene Höfe. Niemand war mehr bereit, dort zu pflügen oder zu säen. Bislang war noch keine Volkszählung in der Region durchgeführt worden, auch wenn genau das auf Pater Avrys Liste der noch zu erledigenden Dinge ganz oben stand. Doch schon jetzt wusste Aimaiyr ebenso gut wie Zagyrsk, dass das Endergebnis niederschmetternd ausfallen würde.
»Damit habt Ihr gewiss recht, Eure Eminenz«, sagte er. »Damit komme ich zu dem Grund, warum ich um dieses Gespräch ersucht habe. Ich frage mich nämlich, ob es nicht besser wäre, so viele Überlebende wie möglich hierher nach Seenstadt oder in die anderen größeren Ortschaften zu rufen. Mir ist durchaus bewusst, dass es mir vielleicht nicht zusteht, Euch auch nur einen derartigen Vorschlag zu unterbreiten. Aber mir schien es ratsam, dass
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