Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
Hektor das auch erleben dürfen. Ist das zu viel verlangt, nach all dem Schmerz und all den Schrecken, die in letzter Zeit die ganze Welt heimsuchen?«
»Gewiss nicht.« Sanft streichelte Mairah Breygart der Kaiserin die Wange – so, wie Mairah Lywkys einst einer sehr viel jüngeren Königin die Wange gestreichelt hatte, wann immer die Welt der jungen Regentin zu viel abverlangte. »Natürlich nicht, und ich hoffe auch, dass die beiden glücklich werden. Aber sie sind eben nicht einfach nur irgendwer – genauso wenig wie Cayleb und Ihr! Also, soll ich Irys jetzt dezent anstupsen, oder wollen wir der Natur einfach ihren Lauf lassen?«
»Vorerst überlassen wir alles der Natur«, entschied Sharleyan. »Wir haben noch mehrere Fünftage, bis wir in Chisholm eintreffen. Schauen wir doch mal, wie sich die Sache bis dahin entwickelt.«
»Aber prinzipiell steht Ihr der Sache nicht ablehnend gegenüber?«
»Sehe ich aus, als wäre ich dumm?«
»Nein, nicht sonderlich, zugegeben«, erwiderte Mairah und lächelte. Dann aber blickte sie zu Irys hinüber, die mit großen Schritten das Deck überquerte und auf Kaiserin und ehemalige Hofdame zukam, gefolgt von einem recht zerknirschten Daivyn und den beiden jüngeren Breygart-Brüdern. Begleitet wurden sie von drei Gardisten und einem Lieutenant der Navy, der sich ganz offensichtlich immens zusammenreißen musste, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.
»Vorerst muss ich mich noch um etwas anderes kümmern, wie mir scheint«, murmelte Mairah mit einem vergnügten Funkeln in den Augen. »Sieht aus, als würde das unterhaltsam. Aber ich verspreche, über unser Gespräch nachzudenken.«
Sie tauschte einen raschen Blick mit der Kaiserin, die nickte und sich dann darauf vorbereitete, besonders streng die Parade von Missetätern anzublicken.
»Ja, Eure Hoheit?«, fragte Lady Hanth freundlich.
»Mir scheint, mein kleiner Bruder hat Ihre Söhne vom rechten Weg abgebracht, Lady Mairah.«
»Hab ich gar nicht!«, protestierte Daivyn. »Ich … wir wollten doch nur runter zum Orlopdeck, Lady Mairah. Da wären wir auch geblieben, doch, wirklich! Aber … aber die Luke war offen , und niemand hat gesagt, wir dürften ni…«
»Daivyn!«, unterbrach Irys den Redefluss ihres Bruders, und er blickte rasch zu ihr auf. »Zuerst darf wohl ich Lady Mairah erklären, wie sich mir die Sache darstellt. Sicher habe ich alles falsch verstanden, weshalb du, wenn ich fertig bin, Gelegenheit hast, meine Erklärung entsprechend zu verbessern.«
Als Irys ihn unterbrochen hatte, hatte Daivyn recht aufsässig reagieren wollen. Mit der Aussicht auf Gelegenheit, sich zu rechtfertigen und sämtliche Schuld von sich zu weisen, entspannte er sich sichtlich erleichtert. Seine Schwester bedachte ihn mit strengem Blick und schüttelte den Kopf.
»Du erinnerst dich schon daran, dass Lady Mairah drei Söhne hat, oder?«, fragte sie ihren Bruder. »Wie oft hast du erlebt, dass Haarahld oder Trumyn sie zum Besten gehalten haben?«
Abrupt wechselte Daivyns Gesichtsausdruck. Irys nickte, als sie ihn nachdenklich sah.
»Hab ich mir gedacht«, sagte sie und wandte sich an Lady Hanth. »Nun, Lady Hanth, mein kleiner Bruder hat Haarahld und Trumyn dazu angestiftet, mit ihm unter Deck zu gehen und das Schiff zu erkunden. Wie genau sie es geschafft haben, Tobys zu entwischen, darüber werde ich noch ein Wörtchen mit diesem zu reden haben.« Der kahlköpfige Waffenträger mit dem buschigen Schnurrbart stand unmittelbar hinter der Prinzessin und verdrehte gleichmütig die Augen. »Wie dem auch sei, es scheint zumindest so, als hätten die drei, als gerade niemand hingeschaut hat, das Kabelgatt gefunden. Also, jemand mit auch nur einem Funken Verstand – ich weiß, dass wir hier über meinen Bruder sprechen, aber trotzdem! – hätte daran gedacht, dass wir erst vor weniger als einer Stunde in See gestochen sind. Also dürften die Taue dort wohl immer noch zumindest feucht sein. Aber …«
.XVII.
Der Tempel,
Zion,
die Tempel-Lande
Immer erst recht spät im Jahr hielt der Frühling Einzug in die Stadt Zion.
Rhobair Duchairn stand vor dem Panoramafenster und staunte erneut über die Wunder, die die Erzengel hinterlassen hatten: Selbst wenn man mit dem Finger am Fensterrahmen entlangfuhr, ließ sich kein Luftzug spüren, und die Scheibe selbst war immer angenehm handwarm – ganz egal, welches Wetter draußen herrschte. Im Augenblick peitschte der schneidende Wind den Schnee über das Tempelgelände. Der
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