Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
hat genau das Schueler seinerzeit gemeint, als er Paityrs Familie die Holo-Nachricht hinterlassen hat.«
»Warum sollte diese … diese Persona derzeit nicht aktiv sein?«
»Aus Langeweile vermutlich. Denn es gibt zwei Möglichkeiten, wie eine virtuelle Persönlichkeit zugrunde gehen kann, Nahrmahn: Eine davon ist, dass sie sich tiefer und tiefer in die eigene, private Realität zurückzieht, bis sie nicht einmal mehr ansatzweise Interesse daran hat, mit der Welt zu interagieren, aus der ihr Persönlichkeitsspender stammt. Das ist der Grund, warum die Software der meisten VR-Module Sicherheitsvorkehrungen enthält, die es verhindern, dass die VR-Persönlichkeiten sämtliche Parameter ihrer virtuellen Realität selbst steuern. Stellen Sie sich doch nur vor, was es bedeuten würde, jede einzelne Facette der eigenen Existenz nach Gutdünken zu verändern! Man könnte die ganze Welt so formen, wie man es für richtig hält. Man könnte sich selbst jede Superkraft verleihen, die einem nur in den Sinn kommt. Man könnte sich jeden Wunsch erfüllen, wie auch immer er aussehen mag. Könnten Sie sich eine Droge vorstellen, die noch stärker suchterzeugend wäre?«
»Nein. Nein, wirklich nicht«, erwiderte Nahrmahn, und ihn schauderte.
»Aber da gibt es noch die Kehrseite der Medaille: die Langeweile. Selbst Unsterblichkeit kann zu einem Fluch werden. Dieses Thema findet sich immer wieder in Mythen und Sagen, Legenden und Märchen egal welcher Kultur, die der Mensch hervorgebracht hat. Die VR-Welt bringt nun den Beweis. In ihr lässt sich selbst die Zeit noch komprimieren. Daher erreicht man die sozusagen gefühlte Unsterblichkeit schon recht bald. Auch deshalb vergraben sich virtuelle Persönlichkeiten tiefer und tiefer in eine Realität, die sie verändern können: einfach, um der Einförmigkeit und Eintönigkeit zu entkommen.«
Nimue/Merlin schwieg einen Moment und ließ den Blick über die Brüstung des Balkons schweifen. Dann jedoch suchte sie erneut Nahrmahns Blick, und ihre Miene wirkte noch ernster als zuvor.
»Manchmal geht das sogar noch weiter. Es gibt virtuelle Persönlichkeiten, die kommen nicht mit dem Wissen zurecht, dass sie in Wirklichkeit nur die Aufzeichnung einer anderen Person sind. Sie leiden darunter, bloß eine Kopie zu sein. Sie ziehen sich nicht nur in ihr Mini-Universum zurück, in der Hoffnung, sich durchs Verändern desselben nicht mehr zu langweilen. Sie werden vielmehr katatonisch und ziehen sich aus der einzigen Wirklichkeit zurück, die sie haben, weil es in ihren Augen eben überhaupt keine Wirklichkeit ist .«
»Das war so ein schöner Morgen, Nimue, und jetzt sprechen Sie derart düstere Dinge an!«
»Na ja, die Persönlichkeiten, die so reagieren, sind vermutlich etwas weniger … unverwüstlich als Sie«, erwiderte sie und lächelte.
»Ich nehme das jetzt einfach mal als Kompliment.«
»So war es auch gemeint.«
Erneut lächelte sie ihn an und trat auf ihn zu.
»Viel länger kann ich nicht mehr bleiben, Nahrmahn«, erklärte sie. »Mein Hochgeschwindigkeits-Interface funktioniert hier nicht. Und Owl kann die Datenübertragungsrate nicht so anpassen, dass ich mit Ihnen interagieren kann, solange für Sie eine komprimierte Zeitskala gilt. Aber die gilt für Sie, seit Sie hier angekommen sind, auch wenn Sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wach waren. Owl hat eine ganze Weile gebraucht, um Ihre Erinnerungen zu lokalisieren, zu reparieren und wiederherzustellen. Sie waren schon immer ein recht … komplexer Bursche. Das hat sich auch mit Ihrem Tod nicht geändert.«
»Der Gedanke, Ihnen und Owl Unannehmlichkeiten bereitet zu haben, erschüttert mich zutiefst«, merkte Nahrmahn höflich an, und wieder musste Nimue lachen.
»Das kann ich mir vorstellen. Aber für mich bedeutet das so einiges: Um Sie tatsächlich hier besuchen zu können, muss ich mich physisch in meiner Höhle aufhalten, damit ich das lokale Interface nutzen kann. Jede Sekunde, die ich hier mit Ihnen verbringe, dauert genauso lange wie eine Sekunde in der realen Welt. Da ich aber auf die Kaiserin von Charis zurückkehren muss, ohne dass mich jemand bemerkt, sollte ich das wohl lieber im Schutze der Dunkelheit versuchen. Das wiederum bedeutet …«
»Dass Sie aufbrechen müssen.« Nahrmahn nickte und schaffte es dabei, völlig gelassen dreinzublicken. Das fiel ihm schwerer als erwartet. Schließlich hatte man ihm doch gerade erklärt, er werde eine Welt ganz für sich allein haben.
»Ja.«
Wieder suchte Nimue
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