Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
Ihr zur Erfüllung dieser Aufgabe bei Kräften seid und gesund genug bleibt. Ansonsten nämlich würdet Ihr Eure Herde im Stich lassen. In all den Jahren, die ich Euch nun schon kenne, habt Ihr das noch kein einziges Mal getan. Und Pater Gharth, Mistress Sahmantha und ich … wir werden nicht zulassen, dass Ihr sie jetzt im Stich lasst.«
In Cahnyrs Augen brannten Tränen. Schweigend nickte er, dann wandte er sich wieder dem Feuer zu. Hinter sich hörte er Tohmys noch ein wenig werkeln. Dann …
»Wartet hier beim Feuer, Eure Eminenz. Ich hole Euch, wenn es Abendessen gibt.«
Hinter dem Kammerdiener schloss sich die Tür. Cahnyr starrte ins Feuer, schaute zu, wie die Holzscheite und Äste nach und nach verbrannten, spürte die Hitze und dachte darüber nach, welche Strecke noch vor ihnen lag. Derzeit befand er sich mit seinen Reisegefährten nahe der Ortschaft Sevryn. Ihr Weg führte sie durch die nördlichsten Regionen von Shiloh, einer der Provinzen, die weder die Republik noch Clyntahns Tempelgetreue fest im Griff hatten. Die Tempelgetreuen umklammerten zwar mit eiserner Faust die südwestlichen Regionen, aber der Norden und vor allem die nordöstlichen Bereiche der Provinz standen ebenso fest zur Republik. In der Mitte gab es nur noch Ödnis, übersät mit den Ruinen dessen, was einst Ortschaften und Weiler gewesen waren. In dieser Ödnis waren hasserfüllte, verbitterte Männer mit einer Wildheit und Grausamkeit aufeinander losgegangen, wie es keine Peitschenechse zustande gebracht hätte. Das Gebiet, in dem sich der Erzbischof derzeit befand, war von dieser Welle des Blutvergießens verschont geblieben, die über einen Großteil der restlichen Provinz hinweggeschwappt war. Zumindest bislang. Doch dass während all der Kämpfe so viele Nahrungsmittel vernichtet worden waren und weitere kaum geliefert wurden, wirkte sich auch hier in Sevryn aus. Wer konnte, war aus Shiloh den Siddar hinab in die Alte oder die Neue Provinz geflohen. Vor allem Frauen und Kinder hatten die beschwerliche Reise auf sich genommen. Dort nämlich versprach die Armee zumindest ein gewisses Maß an Sicherheit. Wenigstens hin und wieder wurden dort auch Nahrungsmittel von der Küste den Fluss hinauf geschafft. Mit Lastkähnen, Boten, Kanus und sogar einfachsten Flößen: So waren die Flüchtlinge aufgebrochen, bevor der Fluss zugefroren war. Jetzt, wo die Eisschicht gute vier Zoll dick war, zerrten sie darauf Schlitten hinter sich her, beladen mit ihrer kümmerlichen Habe. Auch ihre Kinder kauerten darauf: Mit weit aufgerissenen Augen schauten sie das stahlgraue Band aus Eis hinab, als das der Fluss die Landschaft durchzog. Ausgemergelte, hungrige Gestalten schleppten sich einem Ziel entgegen, von dem sie sich Erlösung aus ihrem Hungerleid erhofften.
Auch Cahnyr nutzte diesen vereisten Weg. Doch er reiste in die entgegengesetzte Richtung, geradewegs in das Herz von Gletscherherz hinein – den Grausamkeiten entgegen, die Zhaspahr Clyntahn dort entfesselt hatte. Die Eisschicht war inzwischen fest genug, sogar die leichten Karren der Kavallerie zu tragen. Die kleinen Schlitten, von Hunden oder Eisechsen gezogen, trug sie mit Leichtigkeit. Auf Lastkähnen waren der Erzbischof und seine Reisegefährten so weit nach Westen gefahren, wie es eben möglich gewesen war. Dann jedoch hatte das Eis sie gezwungen, an Land zu gehen und auf Schlitten umzusteigen. Sorgsam hatten sie ihre Ladung austariert, um das Gewicht optimal zu verteilen. Auf dem zugefrorenen Fluss waren sie deutlich besser vorangekommen, als das auf der Straße jemals möglich gewesen wäre – zumindest, bis ihnen eine Kufe gebrochen war. Bedauerlicherweise waren es bis nach Bergsee immer noch fast fünfhundert Meilen … und auch das nur, wenn auch der Gletschersee zugefroren wäre. Wäre das nicht der Fall, gäbe es dort zweifellos genug Eis, um eine Überquerung des Sees mit dem Boot zu verhindern. Ihre Reise würde sich dann um weitere einhundertvierzig Meilen verlängern, weil es in diesem Fall hieße, die Nordspitze des Sees zu umrunden. Und vom Bergsee bis nach Tairys waren es weitere vierhundertdreißig Meilen. Neunhundert bis tausend Meilen, ehe sie ihr Ziel endlich erreicht hätten … Was sie dort angekommen vorfänden, wusste Langhorne allein.
Cahnyr dachte daran, was sich auf den Schlitten befand. Er dachte an die Nahrungsmittel, die er sich zusammengebettelt hatte, erfleht, hin und wieder sogar gestohlen. Nicht, dass Reichsverweser Greyghor ihm nicht alles hatte
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