Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
müsstet die Schwachen unterdrücken. Kaiserin Sharleyan hat Euren Herrn Vater gehasst, weil er jemandem Leid antat, den Sharleyan von Herzen geliebt hat, und weil er eine Vielzahl von Menschen unterdrückt hat, die schwächer waren als er selbst. Ich sage das, obwohl mir bewusst ist, dass Ihr Euren Vater aufrichtig geliebt habt. Aber Sharleyan hat Euren Vater gehasst, nicht Euch, nicht Euren Bruder. Sie hat Euren Herrn Vater für das gehasst, was er getan hat, nicht für das, was er war . Sharleyan wird niemals Rache an den Kindern eines Mannes nehmen, den sie hasst. Für Kaiser Cayleb gilt das auch – und sei es auch nur, weil keiner der beiden jemals so tief sinken würde, Rache für ein Verbrechen nicht am Urheber, sondern am Unschuldigen aus seinem Umfeld zu nehmen. Gerade Sharleyan würde nie an Euch oder Eurem Bruder Rache für ihren Vater nehmen. Nie und nimmer.«
»Wie meint Ihr das?«, fragte Irys und sah Mairah traurig lächeln.
»Weil Ihr und Ihre Majestät einander ähnlich seid. Weil Sharleyan um den Schmerz weiß, in jungen Jahren den Vater zu verlieren. Denn es war auch ihr Schicksal. Weil sie weiß, wer in Wahrheit für die Ermordung Eures Vaters verantwortlich ist und wer die Ermordung Eures Bruders geplant hat. Wenn es aber um einen boshaften Mann geht, der aus kalter Berechnung bereit wäre, einen unschuldigen kleinen Jungen umzubringen, dann hasst Kaiserin Sharleyan mit wahrer Inbrunst. Und noch ein Grund: weil man bereits versucht hat, Cayleb zu ermorden, den Mann, den Sharleyan liebt – und sie hat gesehen, welchen Preis es dafür zu zahlen galt. Und weil man bereits versucht hat, sie selbst zu ermorden – und das nicht nur einmal, sondern ganze vier Mal! Zweimal in den letzten fünf Jahren, dazu die beiden Attentate, die Sharleyans Leibwache verhindern konnten, bevor die Königin von Chisholm auch nur fünfzehn Jahre alt war. Sharleyans eigener Onkel hat versucht, sie umzubringen, Hoheit – oder er hat zumindest denjenigen geholfen, die Sharleyan töten wollten, ob ihm das nun bewusst war oder nicht. Ich selbst bin wahrscheinlich nur noch am Leben, weil ihr Onkel eben auch ein Freund meines Cousins ist und er deshalb den ›Reitunfall‹ arrangiert hat, bei dem ich mir das Bein gebrochen habe. Nur deswegen konnte ich Sharleyan bei ihrer Reise zum Kloster Sankt Agtha nicht begleiten. Aber was auch immer Ihr über die Ereignisse in Sankt Agtha gehört habt – dass Ihre Majestät die Musketen ihrer gefallenen Waffenträger aufgehoben und mit eigener Hand mindestens ein Dutzend Angreifer getötet hat … das ist wahr, Hoheit. Ihre Majestät kann sich in Euch hineinversetzen, weil sie durchlebt hat, was Ihr durchlebt habt. Eines kann ich Euch versprechen: Welche Unstimmigkeiten zwischen dem Hause Daykyn und dem Hause Tayt oder dem Hause Ahrmahk nach wie vor auch bestehen mögen, meine Kaiserin wird niemals zulassen, dass Daivyn oder Euch etwas zustößt. Sollte es erforderlich werden, würde sie persönlich zur Muskete greifen – oder notfalls auch nach einem Stein, wenn das die einzige Waffe wäre, die ihr zur Verfügung stünde! –, um Euch beide zu beschützen, so wie Sharleyan und ihre Waffenträger einander im Kloster Sankt Agtha beschützt haben. Sharleyan wäre nicht Sharleyan, handelte sie anders.«
Nachdenklich blickte Irys die Gräfin an und hörte die eisenharte Gewissheit in der Stimme der kaiserlichen Vertrauten. Es war natürlich möglich, dass sich Lady Hanth täuschte, gewiss – aber auf keinen Fall log sie. Zaghaft lächelte Irys, als sie vorsichtig mit ihren Fingern die Hand berührte, die immer noch sanft auf ihrer Schulter lag. Sie wollte schon etwas sagen. Doch dann überlegte sie es sich anders, schüttelte den Kopf und atmete tief durch. Dankbar drückte sie Lady Mairah die Hand. Dann wandte Irys sich ab und betrachtete wieder die Festung, die sie mittlerweile schon fast hinter sich gelassen hatten.
»Ich frage mich, ob Daivyn bald fertig ist, Lieutenant Aplyn-Ahrmahk zur Last zu fallen. Sicher hat auch die Geduld eines charisianischen Offiziers ihre Grenzen«, sagte sie und kehrte zu unverfänglicheren Themen zurück.
.III.
Brahdwyns Torheit,
Green-Cove-Pfad,
Provinz Gletscherherz,
Republik Siddarmark
»Mann, ist das kalt!«
Sailys Trahskhat hob die Hände an die Lippen und hauchte hinein. Er tat es, als glaubte er allen Ernstes, mit seinem Atem die dicken Handschuhe durchdringen zu können. Über das prasselnde Feuer hinweg blickte Byrk Raimahn ihn fragend
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