Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
redlich, keine Schuldgefühlte zu empfinden.
Der Pfad schlängelte sich in Richtung der Provinz Hildermoss durchs Tal und verlor sich irgendwo in den blauen Morgenschatten. Waren die Informationen, die man ihnen kürzlich zugetragen hatte, ebenso zutreffend wie sonst, befand sich derzeit ein ganzer Trupp auf dem Weg in dieses Tal, Männer, die ebenso grimmig entschlossen und hasserfüllt waren wie Byrk Raimahns Männer.
Sein Blick wanderte zu den verkohlten Überresten von Brahdwyns Torheit hinüber. Raimahn verstand den Hass jener Männer nur zu gut: Aus den Schneeverwehungen erhoben sich rußgeschwärzte Holzbalken und geborstene Fundamente dessen, was einst eine blühende, wenngleich nur kleine Ortschaft mitten in den Bergen gewesen war. Wie Grabsteine ragten die Ruinen empor – Grabsteine für all die Männer, Frauen und Kinder, die dort gestorben waren. Sie waren beim Angriff selbst oder im Feuer ums Leben gekommen, oder sie waren in den darauffolgenden Tagen Hungers gestorben. Die tatsächlichen Gräber jener Opfer lagen unter dem Schnee verborgen, der den Friedhof vor den ebenso verkohlten Ruinen der Kirche bedeckte. Den Priester von Brahdwyns Torheit und ein Duzend Gemeindemitglieder hatte man im Inneren der Kirche eingeschlossen, bevor man das Gebäude in Brand gesteckt hatte. Mit Blick auf die Trümmer fragte sich Raimahn, wie derart barbarisches Verhalten mittlerweile so sehr zum Normalzustand geworden sein konnte, dass es schon unausweichlich schien.
»Denken Sie wirklich, dass sie kommen, Sir?«, fragte Trahskhat. Mit einem Schulterzucken räumte Raimahn eigene Zweifel daran ein. Er verstand immer noch nicht so recht, wie er plötzlich zum Kommandeur einer Schützenkompanie doppelter Mannstärke hatte werden können. Warum allerdings der solide, verlässliche Trahskhat zu seinem Stellvertreter geworden war, ließ sich leicht beantworten.
Trahskhats Treue der Kirche des Verheißenen gegenüber und sein Vertrauen in die Vikare als Statthalter der Erzengel hatte ihn ins Exil getrieben. Er hatte in einem fremden Land leben müssen, in dem seine Familie und er Tag für Tag aufs Neue von bigotten Fanatikern beleidigt und schikaniert worden waren. Diese Fanatiker hassten alles, was aus Charis kam, und damit auch jeden Charisianer, ganz egal, welcher Kirche er anhing. So war in Siddar-Stadt aus dem in seiner Heimat gefeierten Third Baseman der Tellesberg Kraken ein einfacher Hafenarbeiter geworden: Für die schwere Arbeit erhielt er einen nur äußerst mageren Lohn, der kaum fürs Lebensnotwendige reichte. Doch Trahskhat hatte alles ohne Murren hingenommen aus Vertrauen in Gott und seinen Tempel. Alles war besser, als die Kirchenspaltung hinzunehmen. Daran änderte auch die Toleranz der Kirche von Charis nichts, nichts der Rechtsschutz, den Krone und Kirche von Charis den Tempelgetreuen im Kaiserreich zugesichert hatten. Trahskhats moralische Unerschütterlichkeit und sein Glauben hatten ihm keine andere Wahl gelassen, als seinem Heimatland den Rücken zu kehren. Er war ins Exil gegangen und hatte damit alles hinter sich gelassen, was ihm und seiner Familie je vertraut gewesen war.
Dann war das ›Schwert Schuelers‹ über die Siddarmark gekommen. Mit eigenen Augen hatte Trahskhat die Vergewaltigungen und Morde gesehen, die ein tobender Mob in Siddar-Stadt begangen hatte. Es war ein Mob gewesen, den Männer im Inquisitoren-Ornat von Mutter Kirche aufgestachelt, bewaffnet und nur allzu oft angeführt hatten. Auch Trahskhats Familie war in den Mahlstrom geraten: Seinen Kindern hatte man gedroht, sie zu töten, seiner Frau, sie zu vergewaltigen. Trahskhat hatte sich zur Wehr gesetzt, erst ab diesem Augenblick, und gemeinsam mit Raimahn. Sie beide hatten gewusst, dass das ihr Todesurteil wäre, und dennoch eines gehofft: Den Menschen, die ihnen am Herzen lagen, durch ihren Widerstand das Entkommen zu ermöglichen. Ihre Familien und sie waren gerettet worden – von einer Schar bewaffneter Charisianer, angeführt von einem in der Siddarmark geborenen Reformisten.
An jenem Tag war so mancher Standpunkt … zurechtgerückt worden. Byrk Raimahn etwa hatte sich mit seinem Großvater versöhnt. Deswegen hatten Claitahn und Sahmantha Raimahn Trahskhats Familie in Siddar-Stadt unter ihren Schutz gestellt – mit dem Versprechen, sie alle so rasch wie möglich in Sicherheit und das hieß nach Charis zu bringen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ein Schiff fänden, auf dem sie alle Platz hätten. Seit jenem Tag
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