Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
Ereignisse nach etwas ganz anderem. Raimahn gestand sich ein, möglicherweise zu Mahkhoms Gunsten voreingenommen zu sein. Zweifellos würden die Fyrmahns die Geschichte ganz anders erzählen. Doch was auch immer jenen unerbittlichen wechselseitigen Hass ausgelöst hatte: Im Laufe der Jahre war es an beiden Enden des Green-Cove-Pfads zu genügend Zwischenfällen gekommen, um beide Seiten nach Gerechtigkeit rufen zu lassen und Rache zu meinen.
Für Gerechtigkeit zu sorgen, glaubte sicher auch Zhan Fyrmahn. Die Worte der Inquisitoren, die das ›Schwert Schuelers‹ organisiert hatten, waren ihm willkommener Vorwand – ja, geradezu ein Freibrief – gewesen, die Clansstreitigkeiten ein für allemal beizulegen. Ohne die Inquisition hätte Fyrmahn einen anderen Vorwand gefunden: Es gab immer etwas, auf das sich vom Hass geleitete Menschen berufen konnten. Immer gab es Dinge, die Fanatikern Grund genug waren, zur Tat zu schreiten. Aber wenn Priester zu Hass und Fanatismus aufriefen, dann wurden Gräueltaten mit der ausdrücklichen Billigung von Mutter Kirche begangen. Dann war es nicht mehr nur ›völlig in Ordnung‹ für jemanden wie Fyrmahn, sich ganz und gar Hass und Zorn zu verschreiben. Dann war es seine heilige Pflicht – es war das, was Gott von ihm erwartete! Und wenn in einem abgelegenen Bergdorf zwei- oder dreihundert Unschuldige ums Leben kamen, dann war das eben auch Gottes Wille, und damit hatten die armen Schweine nichts anderes verdient.
Vor allem, wenn sie zufälligerweise den Nachnamen Mahkhom trugen.
Ob Fyrmahn wohl darüber nachgedacht hat, welche Konsequenzen sein Handeln haben wird? Diese Frage hatte sich Raimahn mehr als nur einmal gestellt … und das nicht nur auf Fyrmahn bezogen. Ist ihm klar, dass er die Überlebenden aus Brahdwyns Torheit damit zu eingefleischten Reformisten gemacht hat – ganz egal, wie die vorher über die Kirchenspaltung gedacht haben? Und falls ihm das tatsächlich klar sein sollte: interessiert ihn das überhaupt? Hat er begriffen, dass er und Männer wie er das Ganze hier überhaupt erst angefangen haben? Oder gibt er für das alles Wahlys die Schuld?
Wahrscheinlich tatsächlich Letzteres. Vermutlich gab es nur eines, was Fyrmahn zutiefst bedauerte: dass Wahlys nicht zu Hause gewesen war, als man über Brahdwyns Torheit hergefallen war. Aus Fyrmahns Blickwinkel wäre alles viel besser gelaufen, wäre es anders gewesen: Es hätte verhindert, dass Mahkhom das Herz des Reformisten-Widerstands in der Eishölle von Gletscherherz geworden wäre. Raimahn hatte keine Ahnung, ob Mahkhom mit Herz und Seele Reformist war oder ob für ihn, genau wie für Fyrmahn selbst, der Kampf zwischen Tempelgetreuen und Abspaltern lediglich die eigene Grausamkeit anstachelte und rechtfertigte. Byrk Raimahn hoffte inständig, hinter Mahkhoms Taten stecke tatsächlich mehr als nur purer Hass. Sicher steckte unter Mahkhoms eisiger Schale aus Hass und Trauer ein anständiger, guter Mensch. Wahlys Mahkhom hatte etwas Besseres verdient, als seine Seele an Shan-wei zu verpfänden, indem er Gräueltaten unter dem Vorwand beging, er tue nichts anderes als Gottes Willen. Doch so tief Mahkhoms Glauben auch sein mochte, und was auch immer den Mann in Wahrheit antrieb: Mittlerweile verwünschte wohl jeder Tempelgetreue im Umkreis von fünfzig Meilen jede Nacht vor dem Einschlafen Wahlys Mahkhoms Namen.
Erzbischof Zhasyn hat recht: Wir bereiten unsere Ernte bereits in dem Augenblick vor, in dem wir die Saat in den Boden bringen. Ich kann es Wahlys nicht verübeln, wie er über die Gegenseite denkt, obwohl jeder neue Angriff, jeder neue Tote den Hass nur tiefer und tiefer in den Fels dieses Gebirges treibt. Inzwischen ist es bedeutungslos, wer seinerzeit als Erster Blut vergossen oder die erste Scheune angezündet hat. Wie in Gottes Namen soll selbst jemand wie Erzbischof Zhasyn jene Wunden heilen? Wird überhaupt noch jemand übrig bleiben, bei dem die Wunden heilen könnten?
Keine dieser Fragen wusste Byrk Raimahn zu beantworten, so sehr er sich auch wünschte, es wäre anders. Denn tief in seinem Herzen wusste er, dass er Wahlys Mahkhom – und vielleicht sogar Zhan Fyrmahn – sehr viel ähnlicher war, als er sich selbst gegenüber einzugestehen bereit war. Deswegen kauerte er schließlich hier und jetzt in Schnee und Eis, nippte an wässrigem Tee und wartete – und hoffte – auf das Eintreffen der Männer, die er töten wollte. Männer, die er töten konnte, ohne Skrupel zu empfinden oder auch
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