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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wenn es die Menschen in den Handelsdörfern der Stroganoffs, der reichsten Kaufleute der Welt, aushielten, wenn Popen dort ihre Holzkirchen errichteten und Soldaten und Kosaken immer neue Gebiete erschlossen und kleine, befestigte Lager bauten, dann konnten auch ein paar Hitzköpfe wie die Dekabristen dort leben. Wirklich, der Zar ist gütig!
    Nur die Verurteilten selbst wußten, was sie in Sibirien wirklich erwartete. Sie alle, Fürst Trubetzkoi, Wolkonsky und die anderen, handelten wie Tugai, schrieben dem Zaren und baten um ihren Tod.
    Auch im Palais des Grafen Koschkin löste das Urteil Entsetzen aus. Marina Iwanowna, Ninotschkas Mutter, weinte in ihrem Zimmer. Pawel Michailowitsch schloß sich in seiner Bibliothek ein und wollte niemanden sehen und sprechen. Ninotschka aber befahl, die Kutsche vorfahren zu lassen, ließ von ihrer Amme Katharina Ifanowna die Koffer packen und sagte zu dem Kutscher Miron: »Wenn du Verwandte hast, nimm Abschied von ihnen. Wir haben einen langen Weg vor uns und werden nicht mehr zurückkehren.«
    »Ich bin allein auf der Welt, Hochwohlgeboren. Ich werde überall sein, so Sie mich brauchen.«
    »Wir werden Petersburg nicht wiedersehen.«
    »Man kann überall in Rußland leben, weil es Rußland ist.« Miron half Ninotschka in den Wagen und reichte ihr den Sonnenschirm nach. Sie sah wunderschön aus, als sie ihn aufspannte und sich zurücklehnte in die hellblauen Seidenpolster. Das weiße, mit Blumen bestickte Kleid, der breitrandige Hut aus Tüll, darunter das schmale Gesicht, eingerahmt von dem bis auf die Schulter fallenden schwarzen Haar – es war ein Bild wie aus einem Märchen. Aber welche Kraft verbarg sich hinter dieser Zartheit, wieviel Mut und wieviel Liebe!
    »Sibirien, Hochwohlgeboren«, sagte Miron stockend, »ist wie ein wildes Tier. Ich hatte einen Vetter, Kusma Petrowitsch. Ein starker Mann war er, nicht so kräftig wie ich, aber immerhin … Er war Gehilfe bei dem Handelshaus Fiffjew. Es hat viele Wagenzüge laufen, holt Pelze und Salz, Edelhölzer und hundert andere Schätze aus Sibirien nach Moskau und Nowgorod. Und Kusma war immer dabei, vorneweg auf den Pferdchen, im Winter wie im Sommer.
    Drei Jahre lang brüllte er herum, wie herrlich die Taiga sei. Im vierten Jahre wurde er stiller, im fünften begann er abzumagern, nach sieben Jahren brachte man ihn krank zurück. Er konnte nur noch an Krücken laufen und sagte immer nur: ›Die Taiga ist die Hölle, Brüderchen, die Hölle! Gott hat Sibirien erschaffen, um die Menschheit zu bestrafen. Kommt jemand auf den Gedanken, dich nach Sibirien zu schicken, häng dich lieber vorher auf.‹«
    Ninotschka sah ihren Kutscher lange an. Dann sagte sie leise: »Miron Fedorowitsch, du wirst dich aufhängen müssen …«
    »So war es nicht gemeint, Hochwohlgeboren! Sagte ich es nicht – Kusma Petrowitsch war nicht ganz so stark wie ich.« Miron warf den Wagenschlag zu, ging nach vorn, kletterte auf den Sitz und schnalzte mit der Zunge. Die beiden Pferde zogen an und trabten durch das große Hoftor hinaus auf die Straße.
    Diesmal empfing der Zar Ninotschka nicht mehr. Ein Leiblakai brachte das Billet zurück, das Ninotschka abgegeben hatte, und zuckte stumm die Schultern. Der Zar hatte das Billet gelesen und es dann stumm auf den silbernen Teller zurückgeworfen. Das Kapitel der Dekabristen war abgeschlossen, die Wirrköpfe und politischen Dilettanten abgeurteilt, die Ruhe in Rußland wiederhergestellt – wenigstens nach außen hin.
    Fünf Stunden wartete Ninotschka vor dem Winterpalast. Sie saß in der glühenden Sonne unter ihrem Schirm und schickte den Lakai viermal mit ihrer Bittschrift hinein. Beim fünftenmal weigerte er sich.
    »Ich komme nur noch bis zum zweiten Vorzimmer, Hochwohlgeboren. Beim letztenmal haben sie mir eine Ohrfeige gegeben. Seien Sie vernünftig, fahren Sie nach Hause, der Zar nimmt keine Bittbriefe mehr an.«
    Ninotschka saß da wie versteinert, und alles erinnerte sie an den schrecklichen Winter, in dem sie vor der Festung gewartet hatte, bis die Standhaftigkeit der Frauen selbst einen General wie Lukow umgeworfen hatte. Aber im Winter konnte man sich in Pelze wickeln, ins warme Stroh kriechen, sich in Decken einhüllen. Gegen die Hitze aber gab es nichts. Man mußte sich braten lassen in der Sonnenglut.
    Am Nachmittag fuhren noch neun Kutschen vor. Die Fürstinnen Trubetzkoi und Wolkonsky scheiterten ebenso wie Ninotschka. Ihre Billets wurden erst gar nich t angenommen. Dafür trat ein Oberst aus

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