Ninotschka, die Herrin der Taiga
der Tür und verkündigte, daß er den Platz durch Militär räumen lassen würde, wenn die Frauen nicht verschwänden.
»Aha, der Oberst Graf Dragowitsch!« rief die Trubetzkoi. Sie stand in ihrer mit der Fürstenkrone geschmückten, offenen Kutsche, und ihre Stimme hallte über den Platz. »Ostern 1825 hat er noch an meiner Seite sein Brot vom Metropoliten segnen lassen. Und jetzt will er uns wegjagen wie streunende Hündinnen!«
Der Oberst senkte den Kopf, drehte sich schroff um und ging in den Palast zurück. Wenig später marschierte ein Trupp Gardeinfanterie aus dem Tor.
»Gott schütze den Zaren!« rief die Trubetzkoi. »Er wird es nötig haben!« Sie gab ihrem Kutscher mit dem Sonnenschirm einen Schlag auf die Schulter und ließ sich in die Polster zurückfallen. Die Kutsche fuhr an, die anderen folgten.
Miron Fedorowitsch blickte sich nach Ninotschka um. »Und wir?« fragte er.
»Ihnen nach, Miron!« befahl sie.
Als die Infanteristen erschienen, war Ninotschka aufgesprungen. Nun setzte sie sich. Sie sah, daß die anderen Kutschen am Ufer der Newa warteten. Eine kleine Volksmenge hatte sich um sie versammelt, und die Fürstin Trubetzkoi hielt eine Rede über das Schicksal der verurteilten Dekabristen. »Wir müssen jetzt immer zusammenbleiben und wachsam sein. Wir müssen dabeisein, wenn unsere Männer abtransportiert werden«, sagte sie am Schluß.
Miron schüttelte den Kopf. »Man wird es nicht zulassen, daß Euer Hochwohlgeboren sie begleiten.«
»Wer will uns hindern?«
»Das Militär. Ein Ukas des Zaren.«
»Kann er verbieten, über das Land zu fahren?«
»Ein Zar kann alles, das wissen wir, Hochwohlgeboren.«
»Warten wir es ab, Miron. Es ist unmöglich, Sibirien abzusperren.«
»Aber die Straßen, über die man die Verurteilten bringt!«
»Glaubst du?« Ninotschka lehnte sich zurück und drehte den Schirm. Es sah spielerisch aus, die Spitzenvolants flogen durch die Luft. Aber was so fröhlich wirkte, war nur das Abreagieren einer unerträglichen inneren Spannung. »Wolfsrudel werden sie auf ihrem Weg begleiten. Die kann man auch nicht verjagen. Gut, dann werden auch wir die Wölfe sein. Bereite dich darauf vor, Miron.«
»Ich bin schon auf dem Weg!« Der Kutscher schnalzte mit der Zunge. »Ich sehe die Taiga schon vor mir, Euer Hochwohlgeboren. «
V
In der Morgendämmerung des 14. Juli klapperten wieder die Schlüssel vor Borjas Zellentür. Sie wurde aufgestoßen, und ein unbekannter, junger Offizier trat ein.
Borja, der seit seiner Verurteilung nicht geschlafen hatte und in der brütend heißen Luft seines Gefängnisses unruhig hin- und hergelaufen war, immer noch hoffend, daß der Zar die Verbannung nach Sibirien doch noch in die Todesstrafe umwandeln würde, fuhr herum. Dem Offizier folgte ein Feldwebel, der eine neue Uniform über dem Arm trug. In der anderen Hand hielt er Tugais Offiziersdegen. Eine wahnsinnige Hoffnung stieg in Borja auf.
»Sie bringen mir meine Uniform, Kamerad?« fragte er heiser vor Erregung.
Der junge Leutnant blickte an Tugai vorbei aus dem Zellenfenster. »Bitte, kleiden Sie sich an«, antwortete er steif. »In einer Stunde werden Sie abgeholt.«
»Der Zar hat uns begnadigt?«
»Ich habe nur einen Befehl auszuführen.«
Borja nahm die Uniform. Er zog seinen zerrissenen Rock aus und schlüpfte in die neue Tunika. Sie paßte, wie vom besten Schneider Petersburgs gemacht.
»Ich habe gar nicht gemerkt, daß man mir Maß genommen hat«, sagte Borja fröhlich. »Aber eine so schöne Uniform an einem so schmutzigen Körper? Das wäre fast eine Entweihung, Kamerad.«
»Der Feldwebel hat den Befehl, Ihnen beim Baden behilflich zu sein, Sie zu rasieren und Ihnen die Haare zu schneiden.« Der junge Leutnant riß seinen Blick von dem Stück Himmel hinter dem vergitterten Fenster los und wandte sich zur Tür.
»Also doch Begnadigung!« rief Borja. »Fürs Aufhängen und für Sibirien gibt es keine neue Uniform, und man wird auch nicht rasiert … Sagen Sie doch etwas, Kamerad … nur ein Wort!«
»Beeilen Sie sich!« Der Leutnant verließ schnell die Zelle. Der Feldwebel, ein untersetzter Mann mit einem breiten Gesicht, trat zur Seite. »Das Bad ist gleich nebenan.« Er sprach ein sehr hartes Russisch und mußte aus den nördlichsten Provinzen kommen.
In dem angrenzenden Raum standen vier große Holzkübel mit heißem Wasser. Dampf wallte Tugai bei seinem Eintritt entgegen und nahm ihm fast den Atem. Dann sah er, daß drei Kübel besetzt waren und neben jedem
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