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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in Galauniform und wehendem weißem Federbusch auf dem Helm. Ein Hauptmann rief alle Namen auf, und die Genannten traten vor und riefen: »Zur Stelle!«
    General Lukow brüllte einen Befehl, das Tor öffnete sich, eine Abteilung Reiter sprengte in den Hof und umzingelte die Dekabristen. »Los! Marsch!« schrie jemand, und die Gefangenen setzten sich in Bewegung. Sie marschierten durch das Petrowsky-Tor aus der Festung und hinaus auf den weiten Platz. Hier standen nur wenige Zuschauer, einige Generäle, Abgeordnete der Regierung, Diplomaten ausländischer Staaten, Beobachter aus der engsten Umgebung des Zaren. Ein paar Kutschen standen hinter dem hohen Galgengerüst, an dem fünf dicke Stricke baumelten.
    In der Mitte des Platzes brannten große Feuer in eisernen Kübeln. Der Rauch stieg in den Himmel, und Soldaten waren dabei, die Flammen mit langen Eisenstangen zu schüren. Henker in langen roten Kitteln winkten den Soldaten zu, wohin sie die Verurteilten führen sollten.
    In der Mitte des Platzes blieben die Männer stehen. Die Reiter entfernten sich. Und jetzt erst sahen die Verurteilten, daß rund um den Platz die Abgeordneten aller Petersburger Regimenter aufmarschiert und auch vier Kanonen an den vier Ecken aufgestellt waren, als sollten sie Salut schießen. Aus der Festung kam jetzt ein Trommlercorps. Es stellte sich an der Mauer auf und legte auf ein Kommando die Schlegel auf die Trommelfelle.
    »Ich weiß immer noch nicht, was das soll«, sagte Fürst Wolkonsky. »Bisher war das Aufhängen kein Opernakt.«
    Die Trommeln begannen zu dröhnen. Ihr Wirbel steigerte sich und brach dann abrupt ab. General Lukow ritt auf den Platz, ihm folgte ein Adjutant mit einer ledernen Mappe. »Im Namen des Zaren wird noch einmal das Urteil verlesen!« schrie Lukow. »Wer genannt wird, tritt vor.«
    Der Adjutant begann mit heller, weittragender Stimme. Und sie alle traten vor, die Träger der ältesten, berühmtesten und besten Namen Rußlands, hörten ihr Urteil – Tod oder Verbannung –, und beides bedeutete das Ende ihres Lebens.
    General Lukow räusperte sich. Er starrte Graf Murawjeff an, dessen Generalsuniform mit den goldenen Epauletten und Litzen in der frühen Morgensonne glänzte.
    »Der Zar nimmt Ihnen die Ehre, Offizier zu sein!« rief Lukow plötzlich. Es war eine Qual, diesen Befehl auszuführen, denn Murawjeff war sein Freund, aber ein Soldat muß gehorchen.
    »Auf die Knie!« schrie Lukow. Seine Stimme überschlug sich. Einer der rotgekleideten Henker trat hinter Graf Murawjeff, drückte ihn an den Schultern auf die Knie, zog ihm den Degen aus der Scheide, warf die Orden in den Staub, trennte die Litzen von dem Rock. Murawjeff rührte sich nicht; er war wie versteinert.
    »Das läßt du zu, Prokor Grigorjewitsch?« fragte er mit zitternder Stimme, als der Henker ihm die Generalstunika vom Oberkörper zerrte und in eines der Feuerbecken warf.
    General Lukow wandte sich ab. Tränen schossen ihm in die Augen. Nur der Adjutant blieb noch stehen, starrte auf den knienden Murawjeff und rief mit bebender Stimme: »Alle anderen auch auf die Knie!«
    Als zöge man an einer Schnur, so sanken die Verurteilten mit einem Ruck zu Boden. Der Henker vor General Murawjeff hob den Degen hoch und packte ihn mit beiden Händen. Dann ließ er ihn flach auf Murawjeffs Kopf niedersausen, und zerbrach hinterher die Klinge. Die Kopfhaut des Generals platzte auf, Blut rann über sein Gesicht.
    Die große Degradierung hatte begonnen, der Ausstoß aus der menschlichen Gemeinschaft.
    Jeder der Verurteilten durchlebte diese Minuten der tiefsten Erniedrigung, und es waren Minuten, die sich in ihre Herzen einbrannten und dort Wunden zurückließen, die nie wieder heilen würden.
    Trubetzkoi und Wolkonsky hatten die Augen geschlossen, als ihnen die rotgewandeten Henker die Röcke vom Oberkörper rissen und in die auflodernden Feuer warfen. Der Philosoph Lobkonow zog seinen Frack ohne Hilfe der Henker aus und ging damit zu einem der Feuerbecken, stopfte ihn hinein und spuckte dann darauf.
    Beißender Rauch zog über den Platz, wehte bis hin zu den wenigen Zuschauern in ihren Kutschen und ließ die Augen der Diplomaten und Generäle tränen. Stumm, in einem weiten Karree standen die Abordnungen aller Petersburger Regimenter und starrten auf das Schauspiel. Zwar lebten die Aufständischen noch, und die fünf zum Tode Verurteilten würden am nächsten oder übernächsten Morgen ohne eine große Zuschauermenge aufgeknüpft werden, aber man

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