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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ein Soldat stand, der den Insassen abschrubbte. Borja erkannte den Fürsten Murawjeff, den Philosophen Jefim Lobkonow und den zierlichen Fähnrich Zabinsky, der bei der Verurteilung geweint hatte wie ein Kind.
    »Willkommen!« schrie Lobkonow Borja entgegen. »Zieh dich aus, mein Freund, und hinein in die Banja! Sie werden ästhetisch in Rußland. Nur blankgeschrubbte Leute sollen am Galgen hängen! Was hast du bekommen, Borja Stepanowitsch?«
    »Zwanzig Jahre Verbannung.«
    »Trubetzkoi lebenslänglich! Diese Idioten von Richtern! Ich habe fünfzehn Jahre. Wozu das? Ich überlebe den Transport sowieso nicht. Und der kleine Zabinsky soll zehn Jahre frieren …«
    Tugai schwieg. Er zog sich aus, kletterte in das große Holzfaß und schnappte nach Luft, so heiß war das Wasser. Der Soldat begann, ihn mit Seife und einer Bürste abzuschrubben, übergoß ihn mit Wasser und sagte schließlich: »Bitte heraussteigen, Herr Leutnant.« Und dann kippte er drei Eimer eiskalten Wassers über Borjas dampfenden, von der Hitze geröteten Körper. Das war ein Schock! Tugai preßte die Zähne zusammen, aber schon eine Minute später empfand er, wie gut das gewesen war. Er fühlte, wie sein Blut lebhafter durch die Adern jagte.
    Nebenan, in seiner Zelle, zog er dann die neue Uniform an, ließ sich von dem Feldwebel rasieren und die Haare stutzen. Dann schnallte er seinen Degen um und merkte, wie seine Hand dabei zitterte. Von draußen, weit entfernt, hörte er Trompetenklänge und dumpfen Trommelwirbel.
    »Was hat das zu bedeuten, Feldwebel?« fragte Borja. Die Kehle war ihm plötzlich wie zugeschnürt. Der Feldwebel hob die alte, zerrissene Uniform auf und schwieg.
    »Das klingt doch wie zur Parade«, fuhr Tugai fort.
    »Alle Regimenter in St. Petersburg haben Alarm. Sogar die Artillerie. Mehr weiß ich nicht.« Der Feldwebel preßte die alten Sachen an sich, verließ die Zelle und warf hinter sich die Tür zu. Niemand schloß sie mehr ab.
    Borja drückte sie wieder auf und blickte in den Gang. Die Wärter lehnten an den Wänden und sahen zur Seite, als sie ihn erblickten. Fürst Wolkonsky in seiner Generalsuniform trat auf den Flur. Sein Bart war gestutzt, sein Haar sauber gekämmt. Auch er trug seinen Degen, weiße Handschuhe und blitzende Stiefel.
    »Verstehen Sie das, Borja Stepanowitsch?« rief er Tugai zu. »Sollen wir einen Parademarsch nach Sibirien machen? Die ganze Garnison ist auf den Beinen.«
    Am anderen Ende des langen Ganges erschienen jetzt der Gefängnisarzt, Dr. Blobkow, und der Priester, Vater Eftemian, und betraten die erste Zelle. Von draußen ertönte Pferdegetrappel, der Marschtritt von Soldatenstiefeln und das Räderrollen von Kutschen. Dann hörte man einige laute Kommandos.
    Wolkonsky winkte Borja zu. »Erwarten Sie, daß man uns mit einem Aufmarsch aller Truppenteile ehrt? Mein lieber junger Freund, ich möchte wetten, daß man sich da eine ganz besondere Teufelei ausgedacht hat!«
    Dr. Blobkow und Vater Eftemian gingen unbeirrt von Zelle zu Zelle. Auch zu Tugai kamen sie, die Betreuer des Leibes und der Seele.
    »Ich brauche nichts«, sagte er, als der Arzt ihn fragte, ob er sich krank fühle. »Und mit Gott bin ich im reinen. Aber wenn Sie mir die Wahrheit sagen …«, mit einem wilden Ausdruck starrte er den Priester an, »wenn Sie mir verraten, was man da draußen vorbereitet … dann können Sie mich segnen, Vater.«
    »Wir wissen gar nichts.« Vater Eftemian faltete die Hände unter dem langen weißen Bart. »Von allen Seiten rückt Militär heran, das haben wir gesehen. Und auf dem Platz vor dem Petrowsky-Tor hat man einen Galgen aufgebaut.«
    »Und wir? Und diese neue Uniform? Sollen wir die Kulisse für ein mörderisches Volksfest abgeben? Was für eine Infamie! Das hat sich ein krankes Gehirn ausgedacht!«
    Unter den Gefangenen hatte sich Unruhe verbreitet. Die zum Tode Verurteilten waren die einzigen, die nicht an ihr Ende glaubten.
    »Paßt auf!« rief der junge Advokat Rymnakoff, als er von der Banja in seine Zelle zurückgeführt wurde. »Der Zar will nur ein neues Schauspiel bieten. Im Angesicht des Galgens begnadigt er uns.«
    Eine Stunde später schallten die Befehle zum Heraustreten durch die Gänge. Die 120 Verurteilten trafen sich unten im Hof, begrüßten sich und bewunderten sich in ihren Galauniformen oder zivilen Sonntagsröcken. Graf Puschkonow trug sogar einen Frack, als ginge er zum Ball.
    Eine Kompanie Soldaten umringte die Verurteilten. General Lukow erschien zu Pferd, auch er

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