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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Rundhütten, die sie Aul nannten, und wirkten überaus freundlich. Sie umarmten die Deportierten, als seien es ihre Brüder und stahlen nachts, was nicht niet- und nagelfest war. Oberst Globonow, der sich ausrechnete, daß sie ungefähr vier Wochen durch dieses Gebiet ziehen würden und daß sie danach vielleicht die Schlitten selbst ziehen mußten, weil alles gestohlen worden war, nahm zehn der schlitzäugigen Männer als Geiseln mit.
    »Für jeden Diebstahl lasse ich einen von ihnen erschießen!« brüllte er. »Und wenn diese zehn hier tot sind, hole ich mir die nächsten, ist das klar? Klaut von mir aus den Stroganoffs die Wurst vom Brot. Sie haben's ja in Hülle und Fülle. Aber wir sind arme Soldaten.«
    Die Kirgisen berieten sich miteinander. Und am nächsten Tag holten sie mit ihren kleinen struppigen Pferdchen die Schlittenkolonne ein und brachten den Sträflingen getrocknetes Fleisch, Stockfisch aus den Seen und irdene Gefäße mit eingesalzenem Gemüse.
    »Sehen Sie, meine Damen«, sagte Globonow zufrieden, als es zum Abend Braten mit gesäuertem Kohl gab, »auch das ist Sibirien. Hier hat man ein großes Herz … im Guten wie im Bösen.«
    An einem Abend, zwischen Kysas und Mochowski , in der Nähe des riesigen Flusses Jenissej, standen sich plötzlich Ninotschka und Borja allein gegenüber. Der Fluß war ein ganzes Stück nicht völlig zugefroren. Globonow hatte deshalb Kosakenpatrouillen ausgeschickt. Sie sollten ein Dorf finden und bei den Einwohnern erfragen, wo man hier über den Fluß setzen konnte.
    Die Poststation, die sie passiert hatten, war leer gewesen – etwas noch nie Dagewesenes. Der Postmeister hatte als letzte Eintragung in sein Fremdenbuch geschrieben:
    9. Februar 1827. Gott sei mit allen, die hier einkehren. Ich ertrage dieses Dasein nicht mehr. Ich weine vor Einsamkeit und habe Angst, daß ich den Verstand verliere. Verzeiht mir alle – aber ich gehe dorthin, wo Menschen sind. Vier Pferde habe ich mitgenommen. Den letzten Reisenden habe ich vor vierzehn Tagen gesehen. Wer kann dieses Alleinsein aushalten, Jahr um Jahr? Gott sei mir gnädig, ich bin kein schlechter Mensch, ich bin bloß verzweifelt …
    »Und wir stehen hier und wissen nicht, was wir tun sollen!« hatte Globonow heiser vor Wut geschrien. »Vor uns der Jenissej, und keiner kann uns sagen, wie wir ans andere Ufer kommen. Wer Postmeister in Sibirien wird, muß wissen, was ihn erwartet!«
    Und jetzt, kurz vor Einbruch der Nacht, hatte sich Ninotschka auf die Suche nach Borja gemacht. Sie fand ihn hinter einem der Materialschlitten. Er stand an einem niedrigen Hauklotz und hackte Holzkloben für die Lagerfeuer. Als er Ninotschka erblickte, warf er das Beil fort und breitete weit die Arme aus.
    »Ninotschka …«, stammelte er.
    »Borjuschka …«
    Sie lagen sich in den Armen und küßten sich wie Verdurstende. Es war ein eisigkalter Abend. Vom Norden her wehte ein heftiger Wind, trieb den Schnee wie eine wirbelnde weiße Wolke vor sich her und überschüttete alles mit dieser weißen Sturzflut. Falls der Wind stärker wurde, gab es nur eines: sich verkriechen und abwarten, denn die Natur ist stärker als der Mensch.
    »Wie habe ich auf diesen Augenblick gewartet!« sagte Borja. »Dich immer nur sehen zu können, wenn das Essen ausgegeben wird, so nah und doch so unerreichbar … das ist eine zusätzliche Qual. Ninotschka …« Er küßte sie wieder, und sie umklammerte seinen Hals, öffnete ihren weiten Pelzmantel und schlug ihn um sich und Borja zusammen.
    »Frierst du nicht, Liebster?« fragte sie. »Der dünne Mantel, den sie dir gegeben haben, die zerrissene Wattemütze, die alten Stiefel … oh, du mußt jämmerlich frieren!«
    »Es ist nicht so schlimm«, sagte er. »Aber hast du Lobkonow gesehen? Die Ketten haben sich durch sein Fleisch gescheuert bis auf die Knochen. Und Wanschiky hat Frostbeulen, so groß wie Kinderfäuste. Die Mehrzahl von uns wird Tschita nicht erreichen, wenn es so weitergeht.«
    »Denke nicht daran, Borjuschka. Spür nur: deine Frau ist da …«
    Der Wind hatte sich verstärkt, das Schneetreiben nahm jetzt alle Sicht. Die abgeschirrten struppigen Pferde standen dicht aneinandergedrängt und ließen die Köpfe hängen. Globonow lief herum und rief, man solle sich in die Schlitten verkriechen und die Feuer verlöschen lassen. Man sah ihn nicht, man hörte nur seine Stimme durch den dichten Schneesturm.
    »Komm«, sagte Borja Tugai. »Hier in dem Schlitten ist es warm, und wir sind allein.«
    Er

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