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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erfuhren noch mehr. Jenjuka, das Ziel aller Mühe, bestand aus zwei Teilen, dem Straflager und dem Dorf. Während die Gefangenen hinter hohen Holzpalisaden lebten, konnten sich die Dorfbewohner frei bewegen. Aber es war möglich, die Sträflinge jeden Tag zu sehen. Jenjuka, das war die Endstation eines Lebens. Da war man etwas großzügiger.
    Die Frauen begannen einzukaufen. Jetzt zeigte es sich, wie wertvoll das viele Geld war, das Graf Koschkin seiner Tochter als Hochzeitsgeschenk mitgegeben hatte. Es gab nichts, was man in Tschita nicht bekam, wenn man gut dafür bezahlte.
    General Schejin konnte die Kaufwut der Frauen nicht unterbinden, aber er fragte sich sorgenvoll, wie man alles, was da zusammengetragen wurde, nach Jenjuka transportieren sollte. Globonow hatte da weniger Bedenken.
    »Sie schaffen das schon, Artem Kusmajewitsch. Und wenn sie sich dreihundert Burjäten als Träger engagieren … diese Frauen hält niemand mehr auf.«
    Ende Mai 1827 traf ein staubbedeckter Kurier aus Irkutsk ein. Er fiel fast vom Pferd vor Erschöpfung und stolperte in die Kommandantur.
    »Ein Kurier des Zaren«, sagte General Schejin später zu Globonow. »Nikolai Borisowitsch, lassen Sie die Damen heute abend zu einem Tee zu mir bitten.«
    »Schlechte Nachrichten?« fragte Globonow. »Was will der Zar?«
    »Ich habe Befehl, es nur den Damen vorzulesen. Natürlich können Sie am Abend dabei sein, Globonow. Vielleicht betrifft es auch Sie.«
    Am Abend saßen die Frauen, festlich herausgeputzt wie zu einer Soiree in St. Petersburg, im großen Speisesaal des Generals und warteten. Ordonnanzen servierten den Tee und Gebäck, in der Ecke spielte leise ein Balalaikaorchester, bestehend aus vier Soldaten.
    Endlich erschien Schejin, begleitet von drei Offizieren. Am Kopfende der langen Tafel blieb er stehen und überblickte die lange Reihe der Frauen in ihren Festkleidern.
    »Meine Damen«, sagte er mit belegter Stimme. »Der Zar ist überall, auch jetzt ist er unter uns. Ich habe die Pflicht, Ihnen etwas mitzuteilen. Im Namen des Zaren darf ich verlesen, was ein Kurier heute gebracht hat. Und bitte, meine Damen, bewahren Sie die bewundernswerte Haltung, die Sie bisher gezeigt haben.«
    Atemlose Stille herrschte in dem großen Raum, als Schejin zu lesen begann.
    General Schejin schien es schwerzufallen, die Worte vorzulesen, die mit großen Buchstaben auf das Pergamentpapier gemalt waren. Die Fürstin Trubetzkoi, die ihm am nächsten saß, erkannte unter dem Schriftstück das blutrote, große Siegel des Zaren.
    »Es ist keine Lüge«, flüsterte sie der neben ihr sitzenden Ninotschka zu. »Es ist wirklich eine Botschaft aus Petersburg.«
    Petersburg … wie weit lag das jetzt! Am anderen Ende der Welt, nur noch eine Erinnerung an glückliche Jugendtage. Die breiten Straßen, die herrlichen Plätze und Parks, die Newa mit ihren Kanälen, die Inseln vor der Bucht, die Paläste und Gärten, die Wasserspiele und Brücken – ein Venedig des Nordens.
    Vorbei, endgültig vorbei. Von Tschita, von Südsibirien, von der Grenze nach China gab es kein Zurück mehr. Petersburg – das war nur noch ein Wort, verklingend wie das Seufzen einer Verliebten.
    General Schejin begann zu lesen. Er hatte Mühe, daß seine Stimme so fest klang, wie man es von einem Soldaten erwartete.
    »Seine Majestät, der Zar, hat beschlossen und verkündet, daß ab sofort die Rechte und Pflichten aller Frauen, die ihre Männer nach Sibirien in die Verbannung begleiten, durch ein Gesetz festgelegt werden.
    Alle Frauen, die ihren Männern nach Sibirien folgen, haben deren Schicksal zu teilen. Sie verlieren ab sofort ihren bisherigen Stand, ihre Titel und Güter. Sie werden den Verbannten gleichgestellt und sind Sträflinge wie sie. Ihre Kinder, die in Sibirien geboren werden, sind Leibeigene der Krone.«
    »Gott strafe den Zaren!« sagte die Fürstin Trubetzkoi laut. »Aber ich liebe meinen Mann, das ist wichtiger als jeder Ukas aus Petersburg.«
    General Schejin räusperte sich. »Weiter befiehlt der Zar: Die Frauen haben sich beim Gouverneur des jeweiligen Departements zu melden. Ihre Männer dürfen sie in den Strafkolonien wöchentlich zweimal sehen und sprechen …«
    »Das reicht, um ein neues sibirisches Volk zu zeugen!« rief die Murawjeff laut. Die anderen Frauen klatschten Beifall. Oberst Globonow stopfte seine Pfeife und paffte dicke Rauchwolken in die Richtung von General Schejin. Es war ein abscheulicher Tabak. Schejin begann zu husten und blickte Globonow

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