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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Heimat.
    »Diese Frauen …«, sagte Globonow. »Sehen Sie sie an! Vor zwei Jahren waren sie noch verwöhnte Luxusgeschöpfe. Ab morgen werden sie Bäume fällen. Mein Gott, was Liebe alles vermag!«
    Am Abend dieses glücklichen Tages kehrten Borja und Ninotschka zum Lager zurück. Die Tore standen offen, ein paar Soldaten in ihren staubigen, schmutzigen Uniformen grinsten wissend. Diese Deportierten, der Teufel hole sie! Sie leben besser als wir. Sie haben ihre Weibchen bei sich. Und wir? Für uns bleiben nur ab und zu diese nach ranzigem Öl riechenden Burjätenfrauen mit ihren breiten Gesichtern und schiefen Augen …
    »Ich werde uns ein Haus bauen, gleich neben dem Lager«, sagte Ninotschka und hielt die Hand ihres Mannes fest. »Wir haben alles schon besprochen … jede hilft jeder. Wir teilen uns in vier Gruppen auf und bauen immer vier Häuser gemeinsam.«
    »An den Sonntagen können wir herüberkommen und helfen«, antwortete Tugai. Er war durch den langen Marsch entsetzlich abgemagert, aber seine Augen hatten noch den jugendlichen Glanz wie damals, als er vor seiner Schwadron ritt.
    In Tschita hatten sie neue Sachen bekommen – nicht mehr die schrecklichen gestreiften Sträflingskleider, sondern vernünftige Anzüge, allerdings an vielen Stellen geflickt. Sie hatten feste Schuhe, aus Stroh geflochtene breitrandige Hüte wie die Burjäten, und im Lager hatte man ihnen gesagt, daß es im Winter Stiefel aus Filz und gesteppte Jacken und gefütterte Hosen gäbe.
    »Natürlich tut man das nicht aus Menschenfreundlichkeit«, sagte Borja zu Ninotschka. »Man braucht unsere Arbeitskraft, und wer friert, ist ein schlechter Arbeiter. Auch das Essen soll besser werden. In Jenjuka sollen wir uns sogar selbst versorgen. Die Taiga wimmelt von Tieren, es wird Fleisch genug geben. Und das Gemüse bauen wir selbst an. Ninotschka, wir werden leben!« Er küßte sie, und sie hing an seinem Hals und umklammerte ihn. Borja schaute in ihr schönes Gesicht. Sein Lächeln wurde traurig.
    »Und wir haben einmal davon geträumt, daß unsere Kinder in einem Haus am Meer aufwachsen, oben auf den Dünen mit einem weiten Blick auf die Unendlichkeit des Wassers …«
    »Jetzt werden sie in einem unendlichen Wald aufwachsen, und die Blockhütte wird ihnen lieber sein als der herrlichste Palast.«
    »Sie werden Leibeigene sein, Ninotschka! Unsere Kinder sind Leibeigene der Krone, Sklaven des Zaren …«
    »Sie werden sich immer frei fühlen, Liebster. Wir werden sie so erziehen, daß sie die Freiheit über alles lieben.« Ninotschka wandte sich um und blickte in die Weite des Landes. »Ihre Heimat, Borjuschka … da liegt sie. Das ganze Land wird ihnen gehören! Wer hat schon so viel Reichtum? Borja, man hat uns nicht bestraft, man hat uns beschenkt!«
    »Wenn du mit diesem Leben zufrieden bist, Ninotschka«, sagte Borja Tugai, und die Kehle war ihm wie zugeschnürt.
    »Ich bin es, Liebster, denn es ist dein Leben! Was wollen wir mehr?«
    Am Abend waren sie alle wieder in ihren Quartieren, die Männer im Lager, die Frauen in den Häusern, die man ihnen zugewiesen hatte.
    Murawjeff war zufrieden. Seine Frau hatte ihm ein Kartenspiel gegeben. Er ging herum und suchte Partner für ein Spielchen um zehn Kopeken. Fürst Trubetzkoi hatte endlich sein Schachbrett bekommen, das seine Frau über Tausende von Werst mitgeschleppt hatte. Wolkonsky wuchtete eine Bücherkiste auf dem Rücken ins Lager – ein Teil seiner geliebten Sammlung französischer Romane.
    »Welch ein Leben!« rief er. »Meine Frau, meine Bücher … und keine Sorgen mehr um meine verdammten Besitzungen!«
    Die anderen lachten, aber es klang gepreßt. Keine Sorgen mehr? Noch war man nicht in Jenjuka. Noch kannte man nur einen kleinen Teil Sibiriens. Man war von Westen nach Osten durch das Land gezogen, aber das war im Grunde nur ein schmaler Streifen dieses riesigen Gebiets gewesen, eine Straße, eine dünne Ader der Zivilisation. Jenjuka aber war mitten im Leib dieses Molochs Sibirien. Würde dieser Leib die Menschen einfach aufsaugen?
    Man würde es wissen. In vier Wochen oder in vier Monaten – oder in vier Jahren. Am besten, man warf den Kalender weg. Was waren hier noch Tage oder Wochen? Die Sonne ging auf, die Sonne versank, das war der einzige Rhythmus. Und der möge Gott loben, der immer wieder diese Sonne sieht.
    Nach vier Wochen wurde der Transport nach Jenjuka zusammengestellt. Es waren glühendheiße Tage, von China her wehte ein mit feinem Sand durchsetzter Wind.

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