Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
doch er hatte Anaudragor gesehen, wie er direkt vor ihm aus der Tiefe aufstieg. Der Avatar des kahlen Felsenmonds hatte sich gezeigt und war vor ihm geschwebt.
Und das – egal was es auch sonst sein mochte, worauf ihm der Blick verwehrt blieb – war wahrhaftig ein schwerwiegendes Zeichen.
Damit nicht genug hatte er, von seinem bewussten Selbst unbemerkt, Auric Torarea Morante aus dem Geisterland heraus ein Geschenk gemacht, das den Menschenmann auch an Himmelsriff und die dort lebende Gemeinschaft gebunden hatte.
Diese Verbindung hatte bereits kettenschwere Gestalt angenommen. An dem Tag, als sie ihn gefunden hatten. Das Leben derer, die damals dabei gewesen waren, hatte sich bereits, mit jenem Tag beginnend, unausweichlich geändert.
Darachels Blick wanderte von den verdämmernden Farben des Himmels, die sich ihm durch die hohen Fenster zeigten, zurück zu dem Mann auf dem Bett. Noch dem soeben Erzählten nachhängend ging auch Auric Torarea Morantes Blick, so wie bis eben auch seiner noch, ins Leere.
Schatten tiefer Erschöpfung lagen noch immer auf den Zügen, denen man ansah, dass er solch lange Phasen der Hilflosigkeit und Abhängigkeit von der Hilfe anderer in seinem bisherigen Leben nicht hatte erdulden müssen und nicht hätte ertragen können. Der Menschenmann war noch immer schwach. Unerklärlich schwach. Die Heilung seiner körperlichen Wunden machte tatsächlich Fortschritte, so dass er eigentlich dem Ermessen nach auf dem Wege der Heilung sein müsste. Trotzdem kam seinem Körper nicht die Kraft zu, die eigentlich mit der fortschreitenden heilsamen Entwicklung zu ihm zurückströmen sollte. So, als sei er von etwas abgeschnitten.
Siganches Worte nach der ersten Untersuchung des Menschenmannes kamen ihm in den Sinn, dass seine Wunden nicht nur körperlicher Art seien. Dass in ihm etwas sei, das verkapselt und verborgen darauf warte, seine Wirkung zu entfalten.
Der Menschenmann hatte seinen forschenden Blick bemerkt, drehte den Kopf auf seinem Kissen und schaute seinerseits zu ihm hin, sein Gesicht hart und ausgemergelt, seine Miene unlesbar.
„Geht es Ihnen gut, Auric Torarea Morante?“
Ein mattes Lächeln erschien auf seinen Zügen.
„Darachel, Sie müssen mich nun wirklich nicht mehr mit meinem vollen Namen ansprechen. Wir kennen einander mittlerweile seit einiger Zeit, und wir kennen uns allmählich ein wenig besser. Sagen Sie einfach Auric zu mir.“
„Nun dann: Geht es Ihnen gut … Auric?“ Auric. Der kurze, persönliche Name kam ihm ungewohnt über die Lippen.
„Mir geht es den Umständen entsprechend. Ich sollte froh sein, dass ich nicht tot bin. Ihnen dies hier alles zu erzählen, erscheint mir … richtig. Es hat schon häufig Gelegenheiten in meinem Leben gegeben, wo ich das Gefühl hatte, dem Tod unmittelbar gegenüber zu stehen, von einer Sekunde auf die andere zu sterben, ohne dass es die Möglichkeit gegeben hätte, mir irgendwas bewusst zu machen …“ Seine Stimme lief ins Leere.
Und trotzdem liegst du hier, deine Wunden heilen, und du hast kaum die Kraft dich aufzurichten. Aufstehen kannst du nur, wenn dich jemand stützt – oder dich eigentlich tragen muss – und das nur mit äußerster Mühe. Was ist nur los mit dir, Menschenmann?
„Ich denke, Sie sind nicht von ungefähr hier in Himmelsriff, Auric.“ Ja, er fand den kurzen, klaren Namen einfacher – und richtiger. Es war wie ein direkter, gerader Weg, im Gegensatz zu den Pfaden , die seine Brüder und Schwestern nahmen. Das Verfolgen des Webens von Bedingtheiten lag in der Geschichte von Aurics Leben – nicht in seinem Namen …
Er erstarrte. Aurics Blick bohrte sich in den seinen. Was hatte er da gerade gesagt?
Er erkannte die unausgesprochene Frage in Aurics Zügen, rückte in seinem Stuhl herum. Es hatte bereits Gestalt angenommen. Warum sollte er es hinauszögern wollen?
„Auric“, sagte er, „ich glaube, es ist an der Zeit, dass Sie einige aus unserer Gemeinschaft kennenlernen.“
Da stand eine Versammlung von Wesen einer merkwürdigen Art um sein Bett. So viele von ihnen hatte Auric bisher noch nie gesehen. Er fühlte sich überwältigt von ihrer Überzahl. Sie bewegten sich anders als Menschen, wie ein grau-bleicher Wald, seine Stämme schritten um ihn her, und er fühlte sich zwischen ihnen wie umzingelt.
Sie wirkten bedrohlich in ihrer Fremdartigkeit; der Unterschied zu ähnlichen Begegnungen in seinem Leben war, dass er diesmal nicht gegen sie kämpfen musste und daher nicht zu
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