Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
von der ganz alltäglichen Doppelbödigkeit in den Äußerungen der Erwachsenen – wie Ironie zum Beispiel – vollkommen überfordert war. Ein weiterer Ninra war innerhalb dieser Gruppe auffällig. Er war, neben Siganche, der einzige seiner Besucher, so hatte er verstanden, der nicht dabei gewesen war, als sie ihn gefunden hatten. Auric spürte, wie sein Blick die ganze Zeit mit unverstellter Neugier an ihm hing.
Sie stellten ihm vorsichtig höfliche Fragen über sein Leben, und er bemühte sich, ihnen auf eine allgemeine Art und so zu antworten, dass er der Erzählung, die er gegenüber Darachel ausbreitete, nicht vorgriff.
„Sagen Sie“, sprach ihn der Großgewachsene – Bruc – an, „was war das eigentlich für ein Wesen, dass Sie verfolgt hat?“
Darachel sah den Menschenmann erbleichen, als Bruc ihm so plötzlich und unerwartet – und unabgesprochen – diese heikle Frage stellte. Auch in den Selbstschichten seiner anderen Gefährten sah Darachel Überraschung, sogar Erschrecken hochblitzen. Was war da nur in Bruc gefahren?
„Ein Wesen?“, fragte Auric mit einem plötzlich wachsamen, starren Blick, der kurz zu Darachel herüberblitzte. „Mich verfolgt?“
In Darachel stieg unwillkürlich ein vages Gefühl des Unwohlseins auf. Die Bedeutung dieses Seitenblicks war ihm augenblicklich klar geworden. Auric hatte sich gerade an seine frühere Nachfrage nach Berichten über Kunaimraé in den Sagas der Valgaren erinnert und begriffen, dass sie einen tieferen Hintersinn gehabt hatte und keineswegs einem unschuldigen, nur allgemeinen Interesse entsprungen war.
Ein wenig schuldbewusst beobachtete er, wie Bruc Auric den Kunaimra beschrieb. Bruc brauchte gar nicht allzu ausführlich zu werden; Auric wusste sofort, wovon er sprach, und er war sichtlich betroffen. Schwieg einige Momente, fasste sich wieder.
„Was ist mit diesem Wesen“ – Auric warf ihm erneut diesen knappen, stechenden Seitenblick zu – „diesem Homunkulus geschehen?“
„Wir haben ihn getötet.“
Darachel hatte an dem Menschenmann einen derartigen Blick bisher noch nicht gesehen. Die Brauen tief über Augen zusammengezogen, die zu dunklen, unerforschlichen Schlitzen geworden waren, das Gesicht eine Maske. Es war der harte Blick eines Soldaten.
„Sind Sie sich da sicher?“
„Natürlich, er ist tot …“ – „Wir müssen es wissen, wir haben ihn schließlich in Stücke gehackt“, fuhr Fianaike dazwischen. – „Er ist tot“, griff Nadragír Brucs Aussage auf. „Sein Körper liegt in den unteren Ebenen Himmelsriffs auf meinem Untersuchungstisch, und er ist von mir seziert worden. An ihm ist nichts Lebendiges mehr.“
„Was?!! Er ist hier in Himmelsriff?“ Auric fuhr mit einer Plötzlichkeit aus seinen Kissen hoch, von der Darachel geglaubt hätte, dass sie seine Kräfte überforderte.
„Ja, er ist hier. Und er ist unzweifelhaft und unumstößlich tot“, versicherte ihm Nadragír erneut mit äußerster Eindringlichkeit.
„Sind Sie sich dessen mit absoluter Gewissheit sicher?“
Darachel trat vor Auric hin, fing seinen Blick ein. „Auric, was ist es, dass dort draußen in der Welt vor sich geht? Droht Himmelsriff eine Gefahr? Sind wir hier weiterhin sicher?“
Aurics Blick ließ von ihm ab, kehrte sich nach innen. Er schwieg für einen lang sich dehnenden Moment, sein Blick undeutbar in den Raum seiner eigenen Gedanken gerichtet. Dann richtete sich Aurics Blick erneut auf ihn, fuhr dann die Gesichter der Versammelten ab.
„Was den Homunkulus betrifft?“, sagte er. „Wenn er tot ist, dann seid ihr hier in Himmelsriff wohl vor ihm sicher. Was ansonsten eure Sicherheit betrifft? Weiterhin sicher, weiterhin sicher?“ Sein Blick schwenkte ironisch und bitter umher. „Ich habe bisher nicht die Erfahrung gemacht, dass die Welt ein sicherer Ort wäre. Und ich habe nicht den Eindruck, dass sich dies gerade jetzt zum Besseren wendet.“ Aurics Augen verloren den Fokus, ein dumpfer, brütender Ausdruck trat für einen Moment hinein, dann fasste er sich mit einem leichten Ruck wieder. „Wenn es in dieser Zeit noch so etwas wie Sicherheit geben kann …“, so begann er, brach ab. Ein erneuter Ruck, er schaute wieder reihum; das Lächeln, das er sich dabei abrang, drang nicht weiter vor als bis zu seinen Lippen. „Wenn es so etwas wie Sicherheit in dieser Welt gibt, dann sind Sie in Himmelsriff so sicher, wie man nur irgendwo sein kann.“
Viertes Buch:
Die steinerne Herrscherin
Im Feuer
Das Büro der
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