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Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Titel: Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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Wie ein Keil verlief der Haaransatz in die Stirn, und die Kontur seiner Frisur sprang dadurch spitz nach vorn hin vor, fast wie der Bug eines Schiffes.
    Eine Ninraéfrau kam außerdem täglich zu ihm und behandelte ihn nach den Methoden ihres Volkes. Sie hieß Siganche.
    Mit Darachel war sie auf irgendeine Art verwandt – oder etwas ähnliches. Darachel hatte es ihm erklärt, aber er hatte es nicht verstanden.
    Sie war von so überirdischer Schönheit, dass es schmerzte. Ihr Teint leuchtete milchig wie von innen heraus und ihr Gesicht war überplastisch, ein Kunstwerk, in dem es gelungen war, eine perfekte Form noch deutlicher heraustreten zu lassen, als es innerhalb der Gesetze der Wirklichkeit möglich schien.
    Wenn sie mit den Gefäßen, Messwerkzeugen und schlanken Apparaturen hantierte, brachte allein das Gleichmaß ihrer Bewegungen und die elegant perfekte Ökonomie ihrer Verrichtungen die Materialien zu einem melodischen in sich geordnetem Aufklingen, und ein Gespinst gläserner, ätherischer Klänge hüllte sein Lager ein.
    Sie führte Bewegungen aus, die wie ein stark verdichteter Tanz waren, von unglaublicher Komplexität und Subtilität, so dass man, so genau man auch hinsah, immer nur glaubte, gerade erst die äußerste Schicht, dessen, was da vorging, erfasst zu haben. Und wenn sie diese Gesten vollzog, dann geschah etwas. Dass es so war, das spürte er, das war offenkundig, doch er konnte nicht den Finger darauf legen, was es genau war.
    Er bat darum, rasiert zu werden. Er selber war zu schwach dazu. Er konnte nur mit Mühe den Arm heben.
    Darachel und die Ninraéfrau sahen sich mit einem Gesichtausdruck an, den er nicht deuten konnte.

    Darachel war immer da, wenn er aus dem Schlaf erwachte. Meist stand er an seinem Schreib- und Lesepult, manchmal saß er auch in einem hohen Sessel bei den Fenstern, las in einem Buch oder war in Gedanken versunken. Anscheinend schlief er jetzt auch des Nachts in einem Nebenraum hinter lang in vielen Schichten fallenden Vorhängen.
    Wiedererwachte, reflexhaft unter der Oberfläche ablaufende Vorgänge zogen ihre Folgerungen aus dem Weg der Abendsonne durch den Himmelsausschnitt der Fensteröffnung und schlossen diese Route als Fluchtweg aus. Die Waffen, die er geführt hatte – er hatte alle nacheinander verloren, und hier hatte er bisher keine zu Gesicht bekommen. Und in seinem Zustand …

    „Bin ich ein Gefangener?“
    Die Frage holte Darachel aus seinen Gedanken, dennoch kam sie nicht gänzlich unerwartet. Er hatte die Blicke bemerkt, mit denen Auric Torarea Morante, in dem Maße wie es ihm besser ging, seine Umgebung mit den Augen eines Adlers beobachtet hatte.
    Er legte den Band, in dem er gerade gedankenverloren geblättert hatte, auf den Stapel neu aus den Archiven mitgebrachter Bücher zurück und blickte dem Menschenmann ruhig in die Augen.
    „Sie sind ein Schwerverwundeter, der Pflege braucht“, sagte er.
    Langsam und bedächtig ordnete er die Bände entsprechend in die Fächer des Pultes ein. „Ich habe gerade mit einem Freund von mir namens Cedrach gesprochen“, fuhr er dabei fort. „Er hat ein wenig nachgeforscht und dabei herausgefunden, dass die Uniform, in der wir Sie gefunden haben, die eines idirischen Generals ist. Ist das wahr?“
    Der Menschenmann Auric Torarea Morante sah ihm gelassen und ungerührt bei seiner Beschäftigung zu, wie er die schmalen Traktatsammlungen zur übrigen Sekundärliteratur räumte.
    „Ja“, sagte er schließlich. Sonst nichts.
    Stattdessen ließ der Menschenmann Auric Torarea Morante ihn weiter in seinen Büchern stöbern und ordnen, ohne seine einsilbige Antwort noch irgendwie durch Erklärungen zu ergänzen, sah ihn nur die ganze Zeit aufmerksam an. Die Frage nach der Kreatur die ihn verfolgt hatte, musste also auf einen anderen Zeitpunkt warten. So nahm Darachel schließlich seinen Überraschungsfund, jene großformatige Ausgabe mit dem unscheinbaren Einband, zur Hand, um wieder seine Lektüre aufzunehmen. Doch gerade da sprach der Menschenmann ihn erneut an.
    „Lesen Sie mir doch einmal aus den Büchern vor, mit denen Sie sich beschäftigen“, sagte er. „Oder erzählen Sie mir, worüber Sie da eigentlich forschen. Die Abende werden länger, je mehr ich bei Bewusstsein bin, und viel mehr zu tun als zuzuhören bin ich nicht in der Lage.“
    „Oder zu reden.“ Es kam über Darachels Lippen, bevor er es verhindern konnte. Auf dem Gesicht des Menschenmannes blitzte ein feines, hartes Lächeln auf. Mit einem

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