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Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Titel: Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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ein wenig zu hastigem Schwung nahm Darachel den Band von der Lesefläche, streifte mit dem Finger über die Seiten, fand das Lesezeichen und schlug ihn auf.
    „ Die Hände auf der Brüstung der Brücke liegend “, trug er vor, „ wurde ihm das ringsumher liegende Land, der Fluss, die Felder und die Hügel, mit einem Mal zu einem Rund mit der Brücke als Bogen darüber, und dem Leiden jener Katze, deren verwesender Kopf dort unten im Schlamm lag, als dessen ausstrahlendem Kern. In diesem Moment traf ihn etwas wie ein Schlag in dessen heller Wucht etwas Flirrendes, Strahlendes an seinem Blickfeld vorbeizusegeln schien, etwas, dass das Wesen eines Schwertes an sich hatte. Es fiel in den Flussschlamm und war nicht mehr zu sehen. Er sah genauer hin, als die Helligkeit ihn nicht länger taumeln ließ, konnte aber mit seinen Blicken keine Spur entdecken.
    Ist dies etwas, was Ihnen die langen Stunden verkürzen könnte?“
    „Das ist es“, kam es vom Lager des Schwerverwundeten her. „Aber es könnte auch die Stunden meines Schlafs verkürzen, dass mich danach die Frage umtreibt, wie es sein kann, dass die Variante eine Passage aus dem Ring der Neun in einen Text gerät, der offensichtlich dem Stil nach von Epokrav geschrieben wurde.“
    Wieder das feine, harte Lächeln in den Mundwinkeln des Menschenmannes.  
    Nicht viele aus seinem eigenen Volk hätten diese wenig bekannte Stelle aus der Langversion des Epos identifizieren können, und dieser hier war jemand aus der Welt der Neuen Menschen, ein Soldat noch dazu.  
    Darachel vermutete, dass er im ersten Moment seine Mimik weitaus weniger unter Kontrolle hatte als der Menschenmann. Doch dann spürte er, wie er sich mit ihm in einer Entgegnung seines Lächelns traf.

    Der Glanz der Sonne strahlte von links her allmählich in das erste der hohen Fenster ein. Darachel und Siganche hatten seinen Oberkörper hochgebettet, damit er so auf den Sonnenuntergang warten konnte.
    Sie hatten großartige Sonnenuntergänge hier in Himmelsriff. Ihr Gluthauch durchbebte die Tiefe des herbstlichen Himmels und schien ihn weit und offen werden zu lassen für das Versprechen fremder Welten hinter den Schleiern aus Licht und Wolken.
    Das Fenster ging direkt nach Westen hinaus. In weitem Blick. Das musste das Irrlichtland sein, worauf es hinausblickte. Vielleicht lag es daran. Vielleicht fügte die befremdliche, andersweltliche Qualität des Irrlichtlandes den Sonnenuntergängen etwas bei. Vielleicht wurden die Sonnenuntergänge aber auch von seiner Nähe zur Schwelle des Jenseitigen eingefärbt. Oder vom Gefühl, trotz allem, was ihm widerfahren war, noch immer am Leben zu sein, der Triumph einer schwach verglimmenden Flamme, die das Letzte aus der Tiefe aller ihr erreichbaren Essenzen herausholen will.
    Es war nicht das erste Mal, dass er in den letzten Tagen allein in diesem Raum zurückblieb. Darachel hatte ihm einen eigenwillig geformten Kristall auf das Tischchen neben sein Lager gestellt und ihm erklärt, er solle diesen Stein in die Hand nehmen, wenn er fremde Hilfe benötigte. Es erinnerte ihn an ein anderes Objekt, eine rote Kugel, die von goldfarbenen Spangen eingefasst war, und dieser Gedanke löste ein vages Unbehagen in ihm aus.
    Selbst wenn die Ninraé ihn hier gegen seinen Willen hätten halten wollen, bräuchten sie wahrhaftig nicht zu fürchten, dass er aus dem Bett aufstand und zu fliehen versuchte. Er konnte jetzt den Arm heben, das hatte er wieder gelernt, so weit war er gediehen. Er konnte jetzt den Löffel selbst zum Mund führen. Ganz tolle Leistung. Wie sollte er also fliehen?
    Warum sollte er fliehen? Wohin? Zu welchem Zweck? Zu welchem Ende hin?
    Wie war er an den Punkt gekommen, an dem er jetzt war? Was war in seinem Leben vorgefallen, das ihn, zwar nicht geradewegs aber immerhin mit einigen Umwegen und Wendungen, an diesen seltsamen Ort geführt hatte? Und an welchem Punkt und wie hätte er an diesem Kurs etwas ändern können?
    Er stellte sich Fragen. Er machte Fortschritte: Er nahm Besitz von der Zeit, die er noch am Leben war, und füllte sie mit Fragen.
    Er drehte den Kopf und betrachtete die seltsamen Arabeskenfriese, welche die Wände zierten und die mit jedem noch so kleinen Wechsel des Lichts ihre Gestalt zu verändern schienen. Dieser Ort glich dem Irrlichtland, so wie er es von früher kannte. Nur wirkte dieser umgrenzte Raum hier gebändigter. Es war, als lägen Falten in der Luft vor den Wänden, den Tür- und Fensterbögen und allen Objekten, als

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