Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
zur Wahrheit am Ende seiner Geschichte zu gelangen.
Vielleicht würde er es morgen bereuen, vielleicht gab es kein Morgen mehr, es zu bereuen – jetzt in diesem Moment erschien es ihm das Risiko wert.
Siganche stand direkt an seinem Bett, Darachel stand ein wenig abseits an sein Pult gelehnt. Siganche hatte ihre Utensilien beseite geräumt, all die Tiegel und Phiolen, die Schalen auf schlanken, dreibeinigen Ständern.
Ihr Blick war direkt auf ihn gerichtet, doch schien es ihm, als ginge er durch ihn hindurch. Ihre Bewegungen waren karger als sonst. Ihr komplexer, verdichteter Tanz erschien noch konzentrierter und reduzierter, beschränkte sich zum größten Teil auf ihre Hände, auf ihre schlanken Finger. Die Gesten schienen keine bewussten Handlungen mehr zu sein, nur der unwillkürliche Widerhall von etwas, das anderswo geschah.
Sein Blick fiel auf ihr Gesicht und wurde von ihm nicht mehr losgelassen. Sie war bleich. Sie war kein Mensch. Doch sie war so schön, dass es bei ihrem Anblick schien, als tastete eine Hand durch Zweigwerk und verwebte Ästelungen seines Brustkorbes und griffe etwas heraus, das wie ein Vogel zitterte und nicht aufhören wollte zu zittern.
Er lag still und spürte hilflos, wie etwas über ihn hinwegging, unendlich vage und kaum erahnbar, etwas wie ein Hauch, wie der wandernde, sinkende Traum von Trommelregen auf einem Blechdach, wie das beinah vergessene, fern wispernde Versprechen einer Wolke an den wehenden Sand einer Wüste.
Etwas stürzte in ihm.
Etwas stürzte in ihm wie Licht, das sich den Durchbruch zu einem Katarakt hin sprengte. Schwindel überkam ihn, wie die Wellen und Linien eines Meeres, lange labyrinthische Windungen in wandernden Schleiern.
Er verirrte sich in ihren Falten.
Und dann – während ein wahnsinniger Geist erwachte und erkannte, dass seine Glieder von Licht verbogen und zersplittert waren, dass seine Gedanken rasten wie Sonnenfeuer – spürte er sich plötzlich nicht mehr.
Es war das erste Mal, dass sie die aus ihren privaten Forschungen gewonnenen Erkenntnisse und Fähigkeiten zu einem fassbaren Zweck hin anwandten. Dass sie nicht in den feineren Reichen hinein nur wirkten sondern aus ihren Kräften in die physische Welt hinein handelten.
Darachel wusste nicht, was Siganche tat, während sie an Aurics Bett stand und Faltungen in einer Art ausführte, wie sie es nie zuvor getan hatte – sie hatte ihm selber nicht genau erklären können, was es war, das sie vorhatte –, doch er spürte Webungen, die Prozesse in Gang brachten, und er spürte die Erschütterung, mit der schließlich etwas aus seiner alten Konstellation stürzte und sich zum Keimen einer neuen Ordnung fügte.
Etwas stürzte, etwas brach.
Auric lag da, mit starr zur Decke gerichteten offenen Augen, regungslos, ohne selbst das kleinste Zucken eines Muskels in seinem Gesicht, wie der Welt verloren, wie tot.
Er und Siganche blickten einander an.
„Was ist geschehen?“
„Ich habe den Riss gefügt.“
„Was ist mit ihm geschehen?“
„Das bleibt abzuwarten. Ich weiß es nicht.“
Schweigend blickten sie beide zu der Gestalt auf dem Bett hin.
„Was geschieht?“, fragte Siganche. „Was geschieht?“ Ihr Blick ging in die Mittlerschichten der niederen Äther.
Woher sollte er es wissen, wenn nicht sie es wusste.
Nach einer Zeit, die ihnen sehr lange vorkam, senkten sich Aurics Augenlider, die Brust hob sich im Rhythmus langsamer, regelmäßiger Atemzüge.
Der Menschenmann schlief.
Seine Lider zuckten, die Augen bewegten sich darunter.
Er träumte.
Die eiserne Krone des Ostens
„Also sind Separatisten und die Aufrührer doch tatsächlich unter Sandocjs Nachfolger, dem Roten Berenk, ein Bündnis eingegangen.“
Auric und Czand saßen beisammen, nachdem sie versucht hatten, das Zusammenspiel zum rechten Nebenmann innerhalb einer Kleingruppe durchzugehen und dabei die Abläufe und die Signalsprache zu verfeinern. Noch schweißbedeckt von ihrem Training saßen sie auf einem Mäuerchen, das den Turnierplatz säumte, und sahen den Übungen und dem Drill der anderen zu.
„Na, der Rote Berenk hat sich bei dem Bündnis anscheinend nicht mal so schwer getan, wie die restlichen Separatisten untereinander. Die politischen Separatisten sind sich nicht grün mit Eisenkrone und unterstellen ihm andere Ziele als ihre rein politischen. Das ist es jedenfalls, was man im Volk und von der Kutte hört. Fast wären die sich untereinander an die Gurgel gegangen und hätten uns die
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