Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
gebracht werden müssen, so wie mancher andere vielleicht. Bei denen, die ohne Alpträume über die ganzen Leichen gehen, da kann man es Ehrgeiz nennen oder kann ihm andere Namen geben. Da mag das vielleicht als Antrieb reichen. Aber bei dir nicht.
Du kannst mich nicht täuschen; ich kenne dich. Ich weiß, wie deine Nächte aussehen. Du brauchst etwas, was jenseits von Sold und diesem verdrehten Teil von dir, der dich antreibt, das alles rechtfertigt. Du brauchst einen Grund. Und wenn es nur tief unten ist. Warum also bist du noch dabei?“
„Ganz einfach“, antwortete er schulterzuckend. „Weil ich an die Idee von Idirium glaube.“ Rasch hob er die Hand, um jede Erwiderung, die von ihr kommen mochte, im Keim zu ersticken. „Halte mich nicht für naiv. Ich habe genug gesehen; ich weiß, dass nicht alles Gold ist, dass es im Idirischen Reich Ungerechtigkeit und Unterdrückung gibt. Ich habe sie erlebt, Kudai hat sie erlebt, du hast mir gerade ein neues Beispiel gegeben. Aber glaube mir: Die Alternative dazu ist schlimmer. Ich habe in ihr gelebt. Und ich habe sie auf meiner Reise durch Mittelnaugarien gesehen. Der Urzustand der Welt ist Barbarei. Macht und Gewalt, Elend, Unterdrückung: Das ist da draußen die Realität. Ein finsteres, brutales Zeitalter ohne Geist und Mitleid.
Egal wie das Leben hier real aussehen mag, mit all seinen Ungerechtigkeiten und Härten, aber hier in Idirium leben wir in der Moderne. Die Länder da draußen sind noch nicht in der Neuzeit angekommen. Für die Menschen die darin leben, herrschen noch die dunklen Zeitalter.
Idirium bedeutet für einen großen Teil der Welt und der Menschen, die darin leben, Sicherheit, Stabilität, Zivilisation, Fortschritt und Kultur. Kein Leben, das nur Dumpfheit und unsere niedersten, tierischen Triebe regieren lassen will. Ein dem Menschen würdiges Leben. Kein perfektes Leben. Aber ein Leben, ausgerichtet an einem Bild des Menschen, der dem Geist entstammt.“
Czand sah seinen Blick ins Leere gehen, als hinge er weiter Gedanken nach, die sich nicht zu etwas fügen wollten, das sich in Worte fassen ließ. Oder das er nicht in Worte gefasst aus seinem Mund hören wollte. Er bewegte sich unruhig auf und ab, wie er da auf der Mauer neben ihr saß, die Unterarme auf den Schenkeln, stieß mehrfach leise schnaubende, stammelnde Laute aus, als wollte er zu etwas ansetzen.
„Ich hoffe, das ist Grund genug für all das, was wir tun“, sagte er schließlich. „Ich hoffe es wirklich.“
Jag hatte sich in den Jahren kaum verändert.
„Du bist jetzt Hauptmann.“
„Und du bist Oberst“, gab Jag zurück. Grinste ihn an, als hätte er nichts anderes erwartet.
„Hab gehört, du wärst längst Major, hättest du nicht einen Skrimaren umgebracht.“
„Das hat man nie beweisen können.“ Das Grinsen verschwand nicht aus Jags Gesicht.
„Warum hast du‘s getan?“
„Ich kann die Dreckskerle nun mal nicht ausstehen.“
„Hast ein paar Narben mehr.“
„Du aber auch. Hab dir doch gesagt, du wärst auf die normale Art einfach nicht tot zu kriegen.“ Er zeigte auf Aurics Narbe am Hals. „Zuerst müssen sie dein klugscheißendes Schandmaul erschlagen. Zum Glück ist noch niemand auf den Trick gekommen.“
Sie berichteten sich gegenseitig von ihren Stationierungen und Feldzügen. Jag hatte die meiste Zeit im Umfeld von General Kelams Streitkräften zugebracht, entweder direkt bei seinem Heer, oder er hatte in seinem Auftrag verschiedene Missionen durchgeführt, meist irgendwo im Saikranon. Er hatte miterlebt, wie das Nichtmenschenheer sich aufgelöst hatte, war einigen seiner Verbände fast bis zum Kalten Meer gefolgt. Er war einer der Leute gewesen, welche die letzten Gefechte gegen Kinphauren geführt hatten. Er musste einiges von ihrem Feind gesehen haben und auch von dem Land jenseits des Saikranon, in dem er wohnte. Aber darüber sprach er nicht. Erst spät war er nach Skarvaneum Atanum versetzt worden. Auric erzählte ebenfalls von seinen Erlebnissen, streifte dabei aber nur kurz die Episode in Ruhn.
„Wir sind alt geworden, Kerl.“
Das stimmte wohl. Auric war erst vor ein paar Wochen 28 geworden.
„Also, Oberst Auric, was liegt an?“
„Eisenkrone und Vanwe kommen von den Bergen herunter und wollen uns überrennen. Wir müssen sie aufhalten. Ach ja, und sie haben Kampfhomunkuli.“
„Sie haben was?“
Auric erklärte ihm das wenige, das er wusste.
„Seltsam, dass plötzlich all diese Dinge aus der Vergangenheit
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