Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
dem Zwang und der ihr auferlegten Rolle, sich als die schöne Beutefrau des Thans präsentieren zu lassen, doch wusste er, dass sie diese Gelegenheiten auch als Rückzugsraum genoss.
Nicht allein, weil es ihr einen Aufschub gewährte, bevor sie in dieses derbe und schmierige Gewühl eintauchen musste. Der Vorgang, durch Make-Up und Kleidung ihre fremdländische Schönheit herauszustreichen, verschaffte ihr auch dadurch eine gewisse trotzige Befriedigung, dass sie mit jedem Schritt dieser Verrichtungen gewissermaßen einen Panzer anlegte. Sie schuf in diesem Vorbereitungsritual eine Distanz zum Rest der Gemeinschaft ihrer Geschlechtsgenossinnen und verlieh ihrer Weigerung, so zu sein wie die anderen Frauen der Siedlung und sich mit ihnen gemein zu machen, einen deutlich sichtbaren Ausdruck.
Auric wäre jetzt lieber bei ihr gewesen, aber das war leider nicht möglich. Wenn sein Vater mitbekam, dass er sich an seinem solchen Tag „zwischen Weiberrocksäumen herumdrückte“, hätte es eine Tracht Prügel gesetzt, an die er sich noch wochenlang erinnert hätte.
Schwer hing hier im hinteren Teil der Großen Halle der Geruch von gebratenem Fleisch vermischt mit Buchenholzrauch in der Luft. In dem Streifen trüben Lichts, der durch das Loch des Rauchabzugs hereinfiel, zeichneten sich scharf und grau die stetig aufsteigenden Schwaden ab. Was nicht richtig abziehen konnte sammelte sich als eine beizende Schicht blauen Qualms unter den schweren Balken des Trägerwerks, das den Dachbau hielt.
Es war ein abgelegener Winkel der Kinderecke, etwas abseits von den Frauen und ihren Geschäften, wohin Auric sich zurückgezogen hatte, gewissermaßen im Windschatten eines der seitlichen Tragepfeiler aus massiven, miteinander verzahnten Balken, so dick, dass ein Mann sie nicht mehr umfassen konnte. Hier saß er und war froh, dass er diesmal niemandem aus dem Weg gehen oder sich rechtfertigen musste. Genau wie den Holzblock auf dem er saß, hatte man ihn in dem ganzen Trubel aus den Augen verloren und vergessen.
Sollten die anderen Kinder doch immer wieder aus der ihnen zugewiesenen Ecke ausbrechen und ums Feuer herumlaufen, Fangen spielen, Berserkerlauf, was auch immer, irgendwelche ihrer Kinderversionen vom Kriegsspiel der Großen. Sollten sie sich doch mit schöner Regelmäßigkeit ihre Maulschellen von den Erwachsenen einfangen, wenn sie ihnen zu nahe kamen oder sich am Ohr herumschleifen lassen, wenn sie sich so dämlich angestellt hatten, dass man sie zu packen bekam. Ihnen machte es anscheinend nichts aus, und die Erwachsenen dachten sich nichts dabei. Das war keine Arglist oder Grausamkeit sondern einfach nur ein beiläufiger Teil des Lebens in der Gemeinschaft. Man bezog Prügel, man verteilte Prügel, man gehörte dazu. Mal im Suff, mal in der Wut, mal einfach so. Weil die Tage kurz wurden und die Zeit lang. Man betrank sich, prügelte sich, betrank sich, suchte andere Dörfer und Landstriche heim, um da die Leute zu massakrieren, betrank sich wieder und bekam früh Kinder. Weil die Tage kurz wurden und –
Auric bekam einen Klaps auf den Hinterkopf, dass es ihn nach vorne warf.
Bevor Schlimmeres folgen konnte, duckte er sich schnell, wollte zur Seite wegtauchen. Aber es war nur Vancrists grinsendes Gesicht, das jetzt neben ihm erschien.
„Was hängst du hier rum, Rik?“, feixte der. Die Siegesfeier versetzte ihn offensichtlich in ausgelassene und übermütige Stimmung. „Was ist, nimmst du 'ne Herausforderung an? Komm her, du bist mir Revanche vom letzten Fechtunterricht schuldig. Wir holen uns ein paar Übungsschwerter …“
„Ach, lass mich in Ruhe, Vanna, du beziehst eh nur Prügel. Wie immer, wenn du im Fechten gegen mich antreten willst. Mir ist heute nicht nach albernen Jungenspielen.“
Vancrists Mimik entgleiste ihm einen Moment, genauso wie Auric es mit seinen Worten beabsichtigt hatte, und er musste innerlich grinsen. Ach Vanna, es ist aber auch wirklich so leicht, dich immer wieder dranzukriegen. Für dich ist es der heilige Kriegssport, die Weihestätte zum Erwachsenwerden, zum Altar der Männlichkeit. Und dann hat einer den Nerv und nennt es Kinderkram …
Vancrist war zwölf Jahre alt, genau wie Auric, aber er war hochgeschossen, einer der größten Jungen des Dorfes, die noch nicht auf den Zug mitgingen. Er hatte schon Bartflaum auf seiner Oberlippe, flocht sich die Haare nach Kriegermanier und war sich in seinen Prahlereien so verdammt sicher, dass er beim nächsten Mal, wenn ein Trupp
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