Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
Kette vor seiner Brust, ein von eingefangenen Lichtfunken matt glänzendes Pendel vor dunklem, rauem Wolfsfellschatten. Natürlich war es unumgänglich, dass er als Skrimarenthan diese dubiose Reliquie am heutigen Tag tragen musste. Aber er trug sie ja nicht nur heute; er und der Ring waren praktisch unzertrennlich. Wurde ihm deren Fragwürdigkeit eigentlich nicht auch manchmal peinlich? Wie ging das, mit dem hundertsiebenundneunzigsten echten und einzig authentischen Valkaersring um den Hals herumzulaufen und sich dabei nicht lächerlich vorzukommen?
Mit einem Seitenblick taxierte sein Vater kurz, wie viel Aufmerksamkeit seine Männer der Szene schenkten. Sein Gesicht glühte vom konsumierten Alkohol, seine Augen funkelten Auric tückisch und wütend an und holten ihn unerbittlich wieder aus dem Gedankengestrüpp heraus, in das er sich geflüchtet hatte.
„Kannst du nicht einmal etwas für deinen Vater tun? Willst du mich vor allen anderen hier blamieren?“ Er beugte sich noch näher zu ihm heran, zischte ihm die Worte fast zu, so dass in dem Lärm der Halle nur er und Auric sie hören konnten. „Willst du allen hier zeigen, dass der Than einen Sohn hat, der ein winselndes, verzärteltes Weichei ist?“
Er hielt inne, atmete schwer, musterte Auric mit einem Blick, in dem er nur Abscheu und Verachtung sah.
„Kannst du nicht einmal der Sohn sein, den ich verdiene?“
Dann stand Auric im kalten Matsch der Dorfstraße, hielt die Axt in der Hand und starrte auf den abgeladenen Stapel menschlicher Trümmer.
Wer zur Hölle war jetzt der Häuptling dieser Männer?
Zwischen zerschlagenen Gliedern blickten kalte, tote Augäpfel aus bleichen Höhlen zu ihm empor. Abgehackt wie ein Wald. Zerhauen und zermetzelt. Wie totes Holz, wie eine Schweineleiche auf dem Block des Schlachters. Das da feiert kein Fest mehr. Und du sollst noch weiter reinhacken.
Er hatte seinen Vater richtig eingeschätzt. Genau obenauf lag die Leiche, mit den Federn und dem Thyrinszeichen am Helm, von allen mit dem meisten Schmuck an Ketten und Schnallen am Pelz. Auch er natürlich mit einem Valkaersring. Auric mühte sich verzweifelt ab, ihn von dem Menschenstapel herunter zu ziehen, aus all den verhakten Gliedmaßen. Er musste gewaltig ruckeln und zerren, musste dabei, um einen richtigen Griff und Stand zu bekommen, auch auf den anderen Toten herumsteigen. Er trat auf Arme, Beine, Leiber und in Gesichter. Er zerrte noch einmal mit einem kräftigen Ruck. Dann lag die Leiche des Anführers im Dreck vor dem Rest des Stapels.
Einen Block, er würde so was wie einen Block brauchen, fiel Auric ein. Bei all dem war er froh über diesen Gedanken. Er zeigte ihm, dass er die Sache pragmatisch angehen konnte.
Als er dann schließlich die Axt hob, stockte er dennoch, und ihm wurde ganz schlecht. Er hatte das Gefühl, das Blut wiche ihm aus dem Kopf, und seine Hände, welche die Axt hielten, waren weit weg und gehörten nicht zu ihm, wie etwas, das er durch einen verschwommenen Wirbel sah und das nicht in irgendeiner erkennbaren Beziehung zu ihm stand. Er spürte kalten Schweiß auf Stirn und Oberlippe perlen.
Er sah, dass er die emporgehobene Axt herabsausen ließ.
Er spürte, dass er etwas tat, aber er fühlte nicht, wie er es tat. Es geschah schnell und es geschah heftig. Er hörte schweres Atmen, und er wusste, dass es sein Atmen war.
Was er jedoch bei all dem begriff, war, dass es nicht gut lief.
Er verstand nicht, warum er den Hals nicht durchgehackt bekam. Es war doch nur ein Hals. Er hackte Scheiben heraus, die herabhingen, wie Schnitten von Lachsfleisch, aber er kam nicht durch. Irgendwas war da in der Mitte, was seinen Schlag auffing, und wenn er es traf, dann knirschte es.
Er wünschte, es wäre vorbei, aber es ging nicht. Gut, dass die Leiche nicht mehr blutete. In seiner hektischen Erbitterung hatte er ein paar Mal schlecht gezielt; ein paar Mal ins Leere, aber ein paar Mal hatte er auch statt des Halses das Gesicht erwischt, und jetzt hingen von der Backe ein paar Lappen herunter und der Mund klaffte durch einen fehlgegangenen Schnitt zu Seite weiter auf, als er es eigentlich sollte, und entblößte Trümmer von Zähnen, die er mit dem Hieb zermalmt hatte. Das Gute war, so sah es weniger wie ein menschliches Gesicht oder ein Kopf aus. Dann dachte er, Jetzt hab ich es heraus, jetzt weiß ich, wie es geht , und als er die Axt in den Knochen trieb, setzte er Druck hinterher, spürte wie die Klinge gegen den Widerstand in
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