Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
Glieder, schoben sich Rüstungsteile in der Bewegung gegeneinander – sie wendete sich ab, um im Torweg zu verschwinden – etwas wie ein Helm türmte sich um ihren Kopf –; gerade da gab der letzte Bruchteil ihres Umwendens einen Blick frei, ein aufblitzendes Fragment davon, was unter der Ummantelung von Schattenpanzer dort im dunklen Schacht des Torweges umgehen mochte. Auric glaubte einen sekundensplitterkurzen Blick auf die Kontur eines Gesichts zu erhaschen, bleich wie Knochen. Und er glaubte sich in diesem Bruchteil eines Moments von diesem streifenden Blick gefunden und durchbohrt.
Unmöglich.
Auric stand am Waldrand und blickte auf die fremdartige Festung.
Aus dieser Entfernung konnte man unmöglich etwas erkennen. Keine Gestalt, erst recht kein Gesicht.
Er hatte zu wenig Schlaf, war erschöpft, seine Phantasie durch die Aufregung des Kampfes und der Verfolgung überreizt. Einen Moment hatte er den Boden verloren.
Aber dieser kurze, sekundenknappe Sturz in den Schacht der Sinnestäuschung hatte ihn auf eine unergründliche, verunsichernde Art in der Tiefe seiner Seele berührt. Unnötig war das. Lästig und vollkommen unzuträglich.
Er wandte der Ebene den Rücken zu und versuchte auszumachen, wo im Gewirr des Waldes sich die Rufe seiner Truppkameraden am stärksten ballten. Es war Zeit, sich zu sammeln und Bilanz zu ziehen, sich darüber klar zu werden, was dieses Fiasko sie gekostet hatte.
„Wir können ihn auf keinen Fall zurücklassen. Er ist unser Anführer.“
„Ach, und wann hast du ihn zuletzt irgendjemanden anführen sehen? Oder wann denkst du, wird es seine Verfassung in nächster Zeit wieder zulassen, dass er den Aufgaben seiner Führerrolle nachkommt?“
Vancrist folgte dem Rucken seines Kinns zu der hingesunkenen Gestalt von Kaustagg hinüber, schlaff und unkontrolliert zu Boden gesunken, wo man ihn gerade abgesetzt hatte, den Baumstumpf hinabgerutscht wie eine Vogelscheuche an ihrem vom Sturm zerbrochenen Pfahl. Etwas lief an seinem Mund heraus, das etwas anderes war als der Speichelfluss, der durch sein ständiges halblautes Brabbeln weiß aufgeschäumt wurde. Seine blicklosen Augen schauten stier und glasig aus verbackenem Dreck und Blut, wie durch die Schlitze einer Maske hervor. Ein Stück Kopfhaut hing halb über das linke Auge herab, und in seinen Haaren klebten aufgetriebene, schaumig obskure Klumpen. Er sah aus, als hätte jemand einen Eimer Schlachtabfälle über seinem Kopf ausgekippt.
Auric sah den Ausdruck in Vancrists Blick und sagte rasch: „Es ist ja nicht so, dass wir ihn zum Fraß für die Krähen zurücklassen. Mit zwei Mann zu Schutz und Pflege ist er auf dem Weg in heimatliches Gebiet sicher. Aber er wird definitiv nicht mehr in eine Kampfzone gehen.“
„Ach“, schnappte Vancrist, „ich habe gar nicht mitgekriegt, dass dich einer zum neuen Anführer ernannt hätte.“ Seine Augen verengten sich böse. „Ist es das: Kaustagg außer Gefecht, einer seiner Leutnants von Graustelzern getötet, der andere von ihnen verschleppt, und jetzt schlägt deine große Stunde?“
„Vanna.“ Auric konnte seinen Ausbruch teilweise verstehen und trat nahe vor ihn hin. „Vanna, schau mich an: Ich reiß mich nicht um Kaustaggs Posten. Geht mir echt am Arsch vorbei.“
Vanna hob daraufhin unwillig wieder den Blick und schaute unstet und vage in Richtung seiner Augen. Auric nahm einen tiefen Atemzug und bemühte sich mit dem Ausatmen allen Ärger aus sich herausströmen zu lassen.
„Aber wir müssen irgendwie zusehen, dass wir das hier geregelt kriegen. Wie ist mir egal. Am besten zusammen, im gemeinsamen Beschluss. Man verlässt sich auf uns.“ Dass ausgerechnet er Vanna daran erinnern musste.
„Wir haben einen Auftrag und eine Aufgabe. Und nur weil unsere Anführer plötzlich abgetreten oder sonstwie außer Gefecht sind, bricht alles auseinander und wir werden wieder zu hirnlos und panisch aufeinander rumhackenden kleinen Rotzbengeln, die zu keinem Männerjob mehr zu gebrauchen sind? Wer hatte es denn so eilig, den Weihedienst des Kriegshandwerks zu leisten?“ Das kam bei Vanna an; seine Augen blitzten auf, als hätte er ihn am liebsten auf der Stelle erschlagen, trotzdem musste er deutlich schlucken. „Krieg dich auf Reihe oder das ganze heilige Handwerk unseres Feldzugs geht den Bach runter. Entweder wir kriegen das hin oder wir können uns alle zusammen saftig die Weihe unseres Dienstes von der Backe putzen. Oder hast du Lust, hinterher unsere
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