Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
Dummheit und Verwahrlosung. Brutalität und Gewalt fand er hier genauso wie zu Hause, nur war sie oft kleiner, verstohlener, hinterhältiger und von der Klammer enger Angst zu widerwärtiger Galligkeit getrieben. Manchmal fragte er sich, ob die Art seiner Landsleute dann nicht ehrlicher war, sich ein Schwert zu nehmen, loszuziehen und alles was jenseits ihrer Grenzen wohnte, zu erschlagen und ihr Hab und Gut zur eigenen Besitzmehrung zu plündern.
All diese Eindrücke verblassten jetzt, als er über die breite, gepflasterte Hauptstraße von Zephranaic ging, und ihre schwachen Geister lösten sich rasch unter der Flut der Eindrücke auf.
Er sah viele Menschen, die nicht nur aus Stadt und Umland oder anderen naugarischen Ländern stammten, sondern anscheinend aus weiter entfernten Provinzen des Idirischen Reiches, von denen er gehört hatte, meist aus den Erzählungen seiner Mutter. Im Geist versuchte er sie, indem er riet, zuzuordnen.
Die mit der dunklen Haut und den schwarzen, geölten Haaren, in der weinrot und olivgrün gefärbten weiten Leinenkleidung, das mussten Kaufleute aus Falrucca sein. Vielleicht stammten die Leute mit den Tätowierungen an Hals und im Gesicht, die mit den durch Holzperlen und Metallringe geflochtenen Zöpfen von den Sandarainischen Inseln. Eine Kolonne idirischer Soldaten, die langklingigen Fechtspeere über der Schulter marschierte vorbei, nahm ihm die Sicht auf die Gruppe.
Dann war sie vorbei, und er sah in der Menge hinter ihr einen Mann, der bis auf sein Gesicht ganz in Tücher gehüllt war, die über und über mit sepiafarbenen Ornamenten verziert waren; überall waren diese Bahnen durch Schnallen und Amulettschnüre zusammengehalten. Konnte das ein Mann aus den Ländern südlich des Silbermeeres sein, vielleicht einer aus den Ländern von Salvhagaar, wo die Menschen Schafe verehrten und Ratten aßen?
Eine Frau ging an ihm vorbei, warf ihm aus dunkel geschminkten Augen einen tiefen Blick zu. So knallrot wie ihre Lippen war auch ihre Kleidung, wechselnd mit einem satten orange: Sie musste also reich sein; so durch und durch gefärbte Kleidungsstücke zu tragen – so spärlich die auch immer trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit waren –, konnte sich nur jemand mit viel Geld leisten. Das musste eine Frau aus Ciphoira sein, wo das Klima so warm war, dass die Menschen nur wenig Kleidung brauchten und die Frauen genau wie Männer über Handelshäuser und Fürstentümer regierten.
Im Vorbeistreifen seines Blickes auf die andere Straßenseite glaubte er sogar jemanden zu sehen, der ein Mann Vom Blut sein konnte.
Nach einer Weile bemerkte er, dass seine Art zu gehen sich verändert hatte. Seine Gangart war nicht mehr – wie ihm eines Tages an den Menschen der mittelnaugarischen Länder aufgefallen war und wie er daraufhin auch an sich selber festgestellt hatte – kurz und hastend, so als wollte man ständig dem Druck einer über sich hängenden Fron entgehen. Mit den Dimensionen der Straßen und Plätze, mit den geraden, lichten, großzügigen Proportionen war auch der Rhythmus seines Gehens, der Taktschlag seiner Beine ein anderer geworden.
Sein Schritt war weiter und gelassener geworden. Ein sicheres, raumgreifendes und sinnliches Schlendern, das dem Maß der großen Gehsteigplatten folgte und in die Weite der Straßendurchbrüche hineinzog. Sein Gang hatte eine neue Würde bekommen, als sei die Enge und das Gewicht unzivilisierten Stumpfsinns von seinen Schultern genommen.
Jetzt erst registrierte er seinen knurrenden Magen und kam dessen Forderungen nach. Ein gebratenes Stück Fleisch reizte ihn, doch wusste er nicht, wo er für diese Nacht unterkommen sollte und wie viel ihn das kosten würde – auf der Straße, irgendwo in einer Gasse zu schlafen, kam für ihn nicht in Frage, obwohl er das auf seinem Weg hierher, in den Ländern dort draußen, oft, eigentlich meistens getan hatte. Also entschied er sich der Sparsamkeit halber für ein Eintopfgericht mit Hammel, das er an einer Straßenecke in sich hineinschlang.
So ging er durch die Straßen von Zephrenaic und glaubte, endlich frei atmen zu können.
Aurics hörte sein Brüllen von den Wänden der engen, kalten Gasse widerhallen, als er die Axt schwang. Blut spritzte warm in sein Gesicht.
„Komm her, du ungewaschener, verfickter Drecksack! Wir wären mit deinem Studiengeld zufrieden gewesen. Aber du musstest dich ja wehren. Jetzt machen wir die Gasse hier ganz speziell für dich zur Hohen Universität
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