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Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Titel: Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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erinnerte sich, wo er war.  
    Dies war Himmelsriff. Für seine alte Welt war er schon gestorben. Er war hier unter Wesen, die zwar Menschen glichen, aber nicht wirklich seiner eigenen Art entstammten. Er war in einem Niemandsland, das so fremd dem Reich, aus dem seine Träume stammten, nicht sein mochte.
    Drei Gestalten waren im verschwommenen Dunkel zum Fenster hin um ihn her. Die vierte trat hinzu und löschte das verschwommene Dunkel mit Helligkeit aus. Es war ein Mann, um den herum Lichtadern zuckten. Er ging in einer Welle von mondbleichem Licht. Es ebbte und flutete aus, als sei es nur die Dünung eines großen, ihm unsichtbar bleibenden Ozeans. Ein Beben und Flattern ging hindurch, als seien Lagen von Vorhängen von einem Wind erfasst worden. Das Licht umgab ihn, wie eine Flamme den Docht. In seiner unsteten, langsam versiegenden Helligkeit erkannte er in zweien der anderen Gestalten Darachel und Siganche. Die dritte waren eine groß gewachsene, markante Erscheinung mit festen, entschlossenen Zügen. Der von dem hellen Fluten umgebene Neuankömmling, wirkte – nach den Maßstäben dessen, was er bisher von den Ninraé gesehen hatte – grazil, doch keineswegs zart. Er hatte etwas vom typischen Körperbau und der Erscheinung eines Tänzers.
    Die vier nahmen keine Notiz von ihm; sie hielten ihn wohl für schlafend.
    Er verstand nicht, was sie miteinander murmelten. Sie verständigten sich in ihrer eigenen rätselhaft verschlungenen, vielklangigen Sprache. Dann, nach einem Seitenblick zu ihm hin, drängte Darachel seinen Gesten nach zu schließen zum Aufbruch, und sie verschwanden aus seinem Blickfeld, zum Ausgang hin.
    Er blieb zurück mit der Stille der Räume und in einem traumhaften, unwirklichen Gemütszustand, der ihn schon bald darauf wieder in den Schlaf sinken ließ.
    Als am Morgen, noch im prekären Land des Erwachens befangen, die Erinnerung daran in ihm aufblitzte, fragte er sich, ob nicht alles nur ein Traumgespinst gewesen sei.  
    Doch was war an diesem Ort nicht wie ein Traumgespinst, manche greifbarer, manche flüchtiger. Dennoch behielt er von dem nächtlichen Ereignis das merkwürdige Gefühl zurück, dass hier irgendetwas vor sich ging.

    Sie hatten sich zu viert in den Räumen Auric Torarea Morantes getroffen, zu später Stunde, als der Menschenmann schon längst geschlafen hatte. Bruc und Siganche hatten ihn dort abgeholt, Cedrach war später hinzugestoßen. Cedrach kam gerade aus den Aufstiegen einer Webschaft. Er hielt sich noch teilweise in benachbarten Wisperschichten auf, und ihre Resonanzen ließen um seinen Körper einen fluktuierenden, langsam verebbenden Nimbus aufschimmern.
    Zusammen waren sie zum Treffpunkt ihrer kleinen Gruppe gegangen, die es so schicksalhaft zueinander geführt hatte, außerhalb aller Kategorien von Konstellarien und Webschaften. Die Räume, die sie für ihre Versammlung gewählt hatten, befanden sich weit entfernt vom Komplex der Siebzehnhundertneununddreißig Hallen, in einem abgelegenen und selten benutzten Winkel von Himmelsriff.
    Nacheinander trafen sie ein: Dangrail, Fianaike, Béal, Lhuarcan. Siganche war von Bruc, Cedrach und Darachel nach kurzer gemeinsamer Beratung zu ihrem Kreis hinzu gebeten worden. Darachel blickte in die Runde und erkannte an allen die Spuren des Ereignisses, das sie hier zueinander getrieben hatte. Er kannte und teilte mit den Anwesenden die ihnen gemeinsame Quelle des dhau und konnte sie aufgrund dessen ins Auge fassen, mitsamt der Stränge, die von ihr ausgingen. Daher konnte er auch die Zeichen lesen, die für fast jeden Unbeteiligten unsichtbar und undeutbar bleiben mussten. Und er sah sie deutlich. Bruc hatte Recht gehabt. Sie mussten miteinander reden; es ließ sich nicht länger aufschieben. Zusätzlich zu den Schattenwürfen, die allen Mitgliedern der Plateau-Expedition eigen waren, trugen Fianaike und Lhuarcan noch immer die Male der Bestürzung über das, was sie der Kreatur angetan hatten, bleibende Schatten dessen, was Darachel schon bei der Besprechung mit den Enthravanen an ihnen bemerkt hatte. Es zeigte ihm, dass sie sich tatsächlich weit von den Ninraé vergangener Tage entfernt hatten, so weit, dass die Veränderung dabei war, sie über die Grenzen der stofflichen Welt hinweg zu tragen. Längst wusste er nicht mehr, wie er dazu stehen sollte. Die Fähigkeit des Urteils über derartige Dinge war ihm nun, nach allem was er erlebt hatte, endgültig und vollständig abhanden gekommen.
    Es begann nun etwas Neues.

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