Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
geführt hatte. Er hörte sich wieder schreien und brüllen, schreien und brüllen, während er über die Ränder der feindlichen Schilde hackte und stach. Schreien und Brüllen, während Kainen, Turgard, Vaitarn und die anderen um ihn herum zu Tode gehackt wurden.
Mit einem energischen Ruck verscheuchte Auric all die Geisterbilder und Erinnerungen. Er packte das Bündel in seinem Schoß, griff sich Schwert und Ring. Hart stand er auf, dass ihn einen Moment schwindelte, und sah nun zum ersten Mal, dass er von dort, wo er sich befand, einen wunderbaren Blick über das Dächermeer von Zephranaic hatte. Ein zunehmender Mond stand darüber wie ein bleiches, aufgequollenes Meeresgetier. Die glühende Kohle des Drachenmond schwebte nicht nicht weit davon entfernt am Himmel, ungleich kleiner, unendlich weit entfernt, ein glosendes, stets lauerndes Auge.
Was sann er überhaupt noch länger über all das nach? Er hatte Valgarien den Rücken gekehrt. Er hatte diese stumpfe Düsternis hinter sich gelassen, ihre dumpfe, entfesselte Gewalt, ihre unberechenbaren rotäugigen Tyrannen und wertlosen Ringe, und er würde nicht mehr in sie zurückblicken. Er würde die faulige Bitterkeit ihres Geschmacks endgültig loswerden und vergessen. Der Steinmetz und seine Kumpane hatten ihn ausrauben und töten wollen; er hatte sich seines Lebens erwehrt. So wie es jeder Bürger Idirium ebenfalls getan hätte. Er war dort weggegangen, sein Vater war dort zurückgeblieben.
Er schnürte sein Bündel über die Schulter, gürtete sein Schwert um, ließ den Ring in die Tasche gleiten, und machte sich daran, über den Sims vom Dach zu steigen. Er keuchte, als sich dabei die aufgebrochene Wunde in seiner Seite erneut bemerkbar machte.
Es war Zeit, dass er diese Stadt verließ und sich wieder auf seinen Weg machte. Idirium rief. Und der Baum, der auch im Winter blühte.
Irrlichtland
Die gewaltige Bergkette der Drachenrücken bildete in diesem Jahr schon ungewöhnlich früh eine unüberwindliche Barriere zwischen der Exklave der nordwestlichen Provinzen und dem Herzen des Idirischen Reiches. Der Weg nach Idirium führte über sie hinweg oder um sie herum. Während in Zephrenaic noch milde Temperaturen herrschten, hatte, wie Auric von Reisenden erfahren musste, ein ungewöhnlich früher Wintereinbruch auf den Höhen des einzigen Passwegs, verbunden mit äußerst ergiebigen Schneefällen, diese Route schon früh im Jahr unpassierbar werden lassen. Der Weg über die Drachenrücken würde bis zum nächsten Frühjahr Reisenden verschlossen bleiben, und die Kaufleute fluchten auf den frühesten Schneefall in den Höhenlagen seit Jahrzehnten und die damit für sie verbundenen finanziellen Einbußen.
In den ältesten der Geschichten, die ihm seine Mutter erzählt hatte, hießen diese Berge noch das Rückgrat der Welt, und es galt als unmöglich jenseits dieses einzigen bekannten Passweges eine Route hindurch zu finden, erst recht für einen einsamen Wanderer, der sich in diesen Gegenden nicht auskannte. Und eine Schiffspassage von Norgond ins Herzland des Idirischen Reiches konnte er sich nicht leisten. Er wollte keine Zeit mehr hier in Zephrenaic verschwenden, um sich das Geld für die Passage zu verdienen; er wollte so schnell wie möglich in die Kernländer Niedernaugariens, soviel Distanz zwischen sich und Valgarien bringen wie nur möglich.
Also blieben ihm nur zwei Möglichkeiten: auf einem Schiff anheuern, das durch die Schwelle des Sandarian nach Süden segelte oder zu Fuß durch das Irrlichtland reisen, bis er zur äußersten Landspitze kam, und an der abknickenden Küste entlang, über die niedrigeren und zerklüfteten südlichen Ausläufer der Drachenrücken, einen Weg nach Osten finden.
Normalerweise hätte er auf einem Schiff angeheuert, doch seine Wunde machte ihm so enorme Schwierigkeiten, dass er Angst hatte, ihr Zustand würde sich bei der schweren Arbeit auf einem Schiff und vor allem bei der Plackerei des Schauerns noch weiter verschlimmern. Andererseits machte es ihm nichts aus, lange Strecken zu Fuß zurückzulegen. Und auch die Aussicht auf menschenleere Gegenden ließ ihn dabei nicht zurückschrecken.
Was die Gerüchte über dieses alte Elfenland betraf, so gab er nicht viel auf irgendwelche Ammenmärchen und Geistergeschichten. In den Gesängen des Asreus-Ringes, in denen es um Magie und Götterzauberer ging, handelte es sich um mythisch überhöhte Darstellungen aus einer uralten Vorzeit, die zudem noch für sich
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