Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
Gegenteil einen Riss ins Gewebe der Notwendigkeit treiben, würdest du dich nicht damit auseinandersetzen. Im Gegensatz zu Cenn-Vekhanen, der auch schon deine Beschäftigung mit den Apokryphen mit Argwohn betrachtet, bin ich nicht beunruhigt.“
Cenn-Vekhanen. Sein Blick huschte unwillig von Viankhuans Gesicht fort, wandte sich zur Seite und verbiss sich unfokussiert in der Tiefe des Ausblicks. Der Enthravan war der Ausgangspunkt dieser verschärften Irritation, all dieser Forderungen nach Rechtfertigung. Er war das Zentrum, von dem die Wellen dieser Strömung ihren Ausgang nahmen und abstrahlten. Und nicht erst seit jener denkwürdigen Konfrontation.
Schon öfter hatte es in Cenn-Vekanens Verhalten und Äußerungen ihm gegenüber Anklänge dessen gegeben, was schließlich bei der Auseinandersetzung um das Schicksal des Menschenmanns greifbare Gestalt angenommen hatte. Schon bevor alles an jenem Tag sich zum Vorwurf verdichtet hatte – mit der ungeheuerlichen Steigerung, Darachel sei ein Irrgeist –, war es immer wieder in Form von verhaltener, als Anleitung getarnter Kritik hintergründig präsent und spürbar gewesen. Es lag darin etwas, was Darachel schon immer verstimmt hatte, und jetzt, da es nicht mehr nur um vage Strömungen ging, sondern die Vorwürfe eine greifbare Gestalt angenommen hatten, begriff er es, konnte es benennen. Und es erbitterte ihn darum umso mehr.
„Ich glaube, es geht Cenn-Vekanen gar nicht so sehr um mein mangelndes Engagement in Dingen, die unsere Aszension betreffen“, wandte er sich mit einem Ruck wieder Viankhuan zu. „Es kommt mir eher so vor, als wenn er mir hintergründig mein Interesse an den Dingen der Welt vorwürfe. Als würde es den geistigen Interessen und der geistigen Entwicklung im Wege stehen. Als würden diese beiden Seiten einander ausschließen.“ Er spürte, wie Groll und Empörung in ihm hochkochten, blickte auf Viankhuans Züge und die Emanationen ihrer Selbstschichten und sah nichts darin, was ihm Einhalt geboten hätte.
„Wie kann man geistig zu einer anderen Ebene des Seins und des Verstehens aufsteigen, und gleichzeitig dem Schicksal und dem Leiden anderer Völker, die nicht den gleichen Weg nehmen wie man selber, mit solcher Gleichgültigkeit begegnen?“
Die Frage hing wie abgerissen im Raum. Keiner ergriff sie, keiner konnte ihr etwas folgen lassen. Darachel spürte, wie der Rest des Atems, der sie getragen hatte, gestaltlos verhauchte.
„Vielleicht ist es deswegen“, setzte er in einem nüchternerem, matterem Ton in die Stille hinein erneut an, „dass es mich in den Augen von manchen unserer Gemeinschaft verdächtig macht, wenn ich mich in meinen Forschungen mit den Ereignissen der näheren Vergangenheit beschäftige, statt wie sonst üblich mit einer mythenweit entfernten Vergangenheit, die, was ihre Anwendbarkeit auf die Vorgänge der äußeren Welt betrifft, nicht mehr wirklich greifbar ist.“
Viankhuan schwieg auch jetzt, starrte auf ihre Hände.
„Wir können über die Motivationen von Cenn-Vekanen spekulieren“, sagte sie schließlich, als sie wieder aufblickte, „aber wir können nicht über sie urteilen. Du solltest ihn dir nicht zum Feind machen. Und nicht als Feind denken.“
Das war schwer. Cenn-Vekanen selber machte ihm das schwer. Aber natürlich war das, was Viankhuan sagte, sinnvoll und richtig …
„Mir bist du nicht verdächtig“, fuhr sie fort, „sondern nahe. Deshalb versuche ich zu begreifen, um daraus Wege zu finden.“
Begreifen und Wege finden. Darin war Viankhuan wahrhaftig nicht allein. Das war es doch gerade, was er selber in diesen Tagen eindringlich versuchte. In dem, was er aus den Erzählungen Auric Torarea Morantes erfuhr. Durch das, was er gemeinsam mit Bruc, Cedrach, Nadragír und den anderen tat.
„Ich vermute“, sprach Viankhuan weiter, „es gibt bei dir unaufgelöste Verflechtungen des ghean-whe‘ , die einerseits in die Zeit der Späten Feuerkriege zurückreichen, dich andererseits mit dem Menschenmann Auric Torarea Morante verbinden. Diesen unerlösten Knoten des ghean-whe‘ muss deine Seele entwirren. Vielleicht ist es das, was dich hemmt – dich notwendiger- und gerechtfertigterweise hemmt –, in vollem Maße und vorbehaltlos an den Aktivitäten Anteil zu nehmen, die auf unsere Aszension hinarbeiten. Vielleicht hindert dich dieser ghean-whe‘ -Knoten daran weiterzugehen. Vielleicht wirst du durch all dies, was gerade geschieht, aufgefordert, dir seiner bewusst zu werden, ihn
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