Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
zermahlen. Der Geruch von verwesenden Innereien, entleerten Gedärmen, verfaulenden Leichenbergen stieg in Wolkentürmen aus der Tiefe empor. Karpanaík brannte. Die Ebenen vor Tryskenon wurden zu Sümpfen aus Blut und zerhacktem Fleisch.
Der Drache und sein Menschenkörper warfen ihre Armeen gegen die Allianz der Völker. Dies waren die Späten Feuerkriege.
Er spürte Viankhuan mit dem Silaé konferieren. Sie spürten bereits den Fäden des ghan , der Verpflichtungsbindungen und ihren Verwebungen nach. Darachel richtete also ebenfalls die Aufmerksamkeit seiner feineren Sinnesorgane auf das sich unter ihnen ausbreitende schreckliche Panorama. Und stutzte. Nichts geschah. Für ihn blieb der Ausblick leer, die Ereignisse gleich weit in ungeheurer Tiefe entfernt.
„Das dort könnte also eine Antwort auf deine Fragen sein“, richtete Viankhuan nach einer Weile das Wort an ihn. Sie deutete dabei auf etwas, das er nicht ausmachen konnte. Da waren auch weiterhin nur winzige Kerzenflammen wie hinter dickem Rauchglas in der Tiefe dort unten und die Ahnung von mordenden Menschenwogen. Er kannte den Blick auf Verflichtungsbindungen des ghean-whe‘ , wie sie sich in einer künstlich außerhalb des eigenen Schicksalsgewebes geschaffenen Schau des ghan ergaben, das Netz aus Strängen in blauem und rotem Licht, die wie Nabelschnüre von einem Knüpfungspunkt, einem Nexus, einer Person zur anderen verliefen und sich im entfernteren Blick zu Mustern und Geweben verdichteten. Nichts davon war jetzt für ihn wahrnehmbar.
„Ich sehe nichts“, sagte er zu Viankhuan, spürte wie sich ihre Aufmerksamkeit verwundert auf seine Selbstverästelungen richtete, sie abtastete.
„Was willst du genau damit sagen?“
„Ich sehe nichts. Alles bleibt zur Unkenntlichkeit weit entfernt, ich erhalte kein Bild des ghan , nicht einmal des dhau ganz zu schweigen von einer Schau der Stränge des ghean-whe‘ .“
Ein Flirren und Verweben des Austauschs zwischen Viankhuan und Bogenfall des Lichts , dann wandte seine Enthravan-Mentorin sich wieder ihm zu.
„Dann sollst du auch nichts wissen“, sagte sie. „Dann muss es so sein, und es ist dir bestimmt. Und wir müssen dieses Schicksalsgesetz respektieren, indem wir dir nicht uns darüber hinwegsetzend Informationen zukommen lassen, die dir und dem Verfolgen deiner Schicksalsstränge nur schaden würden.“ Viankhuan schüttelte befremdet den Kopf. „Sogar die Nähe zu den Ereignissen dieser Zeit ist dir anscheinend verwehrt. Natürlich. Es macht Sinn. Das ist der Grund, warum es dich zum Studium dieser Zeit treibt. Deine verhüllten Selbstschichten treiben dich dazu, das in den Schriften zu suchen, was dir in direkter Schau verwehrt bleibt. Es wird ein größerer Sinn in dieser verschleierten, nur auf Umwegen und fragmentarisch sich erschließenden Kenntnis liegen, aber wir vermögen ihn nicht zu ergründen und zu deinem eigenen Wohl sollten wir es wahrscheinlich auch nicht.“
Doch während Viankhuan noch sprach, bemerkte Darachel wie Bewegung in die dunkel wogende Masse verhüllter Erdweite kam. Sie pulsierte, und Bänke rauchiger Wolken wurden beiseite gedrängt. Etwas schob sich hindurch, trieb sie auseinander. Es durchbrach ihre verhüllende Schicht, stieg durch die Schwaden auf und kam mit pulsierenden Schwüngen näher. Darachel hielt den Atem an.
Vor ihm erhob sich der größere Avatarszwilling des kahlen Felsenmonds mit peitschenden Schwingen aus dem Rauchmeer der Tiefen. Der dunkel bebende Aschenfraß seiner Flügelspanne löschte das Licht vom Himmel. Sein Leib hing schwer und dicht und gedrängt vor ihm, von der Kraft des Schlags seiner Schwingen wie an Tauen gehalten. Ungeheure Brände glosten selbst durch den Panzer kompakter, glatter Schwärze hindurch, der ihn als Haut und Hülle umgab. Es lag kein Blick dort, wo seine Augen sein mochten, und das war eine Gnade.
Darachel sank das Herz weg. Wie im Reflex ließ er die Randbereiche seiner Selbstschichten in Verästelungen wuchern, die den Silaé eine Konklavbindung zwischen ihnen und Viankhuan eröffnen ließ, so dass alle direkt an seiner Wahrnehmung teilhaben konnten. Er spürte in dem Augenblick, in dem die Konklavsphäre sich öffnete, wie die Erschütterung des Anblicks auch durch sie wie eine Schockwelle hindurchging.
So spürten auch sie, wie sich hinter dem Anblick des Avatars ein Wirbel formte, wie Ringe auf dem Wasser. Es öffnete sich ein Visionsportal.
„Da“, rief Viankhuan, „da ist er. Dort zeigt
Weitere Kostenlose Bücher