Ninragon - Homunkulus
immer noch geradeaus, von ihr weg. »Nachdem ich vorher in der Armee meinen Dienst leisten musste wie ein guter idirischer Junge. Sogar in Offiziersrängen. War ja schließlich in einer Beamtenlaufbahn. Hat mir der gehobene Stand meiner Familie eingebracht. Braver Junge, der seinen Weg geht.«
Er senkte den Kopf, die Augen auf den Boden vor seinen Füßen gerichtet, seine Aufmerksamkeit aber irgendwo anders. »Und bei dem sich schließlich der Ekel im Mund sauer sammelt, dass er laufend kotzen möchte.«
Er schnaubte ein bitteres Lachen. »Na, gekotzt habe ich dann reichlich, in der ersten Zeit in kinphaurischer Gefangenschaft. Die ganze widerliche Geschäftelei und das Ränkespiel, in der Armee und außerhalb von ihr, habe ich mir rausgekotzt und ausgeblutet. Leute, die eine Truppe von grünen Jüngelchen für ein paar Garonnen oder einen besseren Posten in den Tod schicken. Kein Stolz, keine Ehre, nicht für einen Grütz. Verkaufen ihre Familie, ihren Stamm, ihr Land, alles. Alles ist egal, wenn sie nur Sautinen und Pragta klimpern hören und sich die Garonnen stapeln. Widerliches, verkommenes Verrätervolk.«
Er murmelte vor sich hin, zwischen den Zähnen hindurch, vage in den zwei Meter entfernten unregelmäßig tändelnden Strom der Passanten hinein.
»Aha, ich bin also ein widerlicher, verkommener Verräter?«
Sein Blick fuhr zu ihr hin, er sah ihr in die Augen.
»Sie nicht«, meinte er und nickte, sie über die Nasenspitze musternd. »Sie sind eine gerade Klinge.«
Seine Augen lösten sich wieder von ihr, er schaute wieder zur Straße hinüber. »Sie ziehen das durch, woran sie glauben. Auch die Sache mit dem dreckigen Gunwaz. Auch hinter meinem Rücken.«
Wow. Der Schuss kam aus dem Blauen heraus. Sie schaffte es, dass sich ihr nur eine Augenbraue hob.
Kurzer Blick zu ihr hin. »Sie sind eine Kinphaurin im Herzen. Sie wissen’s nur noch nicht.« Grinste, während er prüfte, wie der Treffer gesessen hatte. Die Augenbraue war schon wieder unten. Ihre Züge rasteten in die alte Zockermiene ein.
»Okay«, sprach Choraik weiter, »ganz schön gelitten habe ich, als ich in Gefangenschaft der Kinphauren kam. An der Gegenwart, den Kerkern der Kinphauren – und an der Vergangenheit. Dann bin ich irgendwann in Blut und Kotze aufgewacht und habe durch die Stäbe meines Gefängnisses geschaut. Und mir wurde klar, dass ich das, was ich unter den Menschen bitter vermisst hatte, ausgerechnet hier gefunden hatte. Wenn ich nur einmal durch die Schmerzen hindurchblicken und die Wesen dahinter wahrnehmen konnte.
Ich fand jemanden, der mir dabei half. Durch die Schmerzen blicken. Ehre. Aufrechte, harte Klingen. Der auch eine Strafe verbüßte, für etwas, das er getan hatte. Und der später mein Eisenbürge wurde. Jemand, den ich heute meinen Vater nenne. Auch wenn er schon zu den Drachen gegangen ist.«
Choraik schwieg. Das Profil ihr zugewandt, die tätowierte Seite, den Blick durch die Menschengruppen zur Straßenschenke hin. Seine Augen waren zu Schlitzen gekniffen.
Zu den Drachen zurückgegangen. Das meinte offensichtlich gestorben. Die Redewendung hatte sie bisher noch nie gehört.
»Wir wissen wohl ziemlich wenig von den Kinphauren.«
Ihre Worte brachten ihn dazu, sie erneut musternd anzublicken.
»Sie wissen gar nichts«, sagte er.
»Na ja …«, wollte sie beginnen.
»Das Land der Kinphauren liegt hinter dem Saikranon«, fuhr er ihr in die Rede. »Dort liegt auch das Kalte Meer. Am Kalten Meer liegt Abyddhon. Und weiter?«
»Bannerklingen. Die sind einem Stamm zugeordnet. Genauso wie Verschworene und Kreis der Messer. Klanschild ist den Familien übergeordnet und …«
»Organisationskram, militärische Strukturen, Armeezeugs. Aber wissen Sie, wie Kinphauren leben? Haben sie schon mal etwas von ihrem Familiensinn gehört? Kennen Sie die Bezeichnungen für die verschiedenen Ränge von Gatten und Gattinnen?« Er wartete erst gar nicht ab, ob sie antwortet. »Sie kennen nur das Militär, die Armee. Sie wissen gar nichts von der wirklichen Seele der Kinphauren. Kinphauren sind ränkesüchtig, und das reicht Ihnen auch schon. Aber aus welchem Ansatz, was für eine Seelenlage, was für tiefempfundene Grundsätze und Prinzipien dahinterstecken, davon wissen Sie gar nichts.«
Sie schwieg, beobachtete ihn lieber.
»Ich wollte Sie nicht beleidigen«, sagte er nach kurzer Pause. »Wenn Sie eine Kinphaurin wären, dann gehörten Sie gewiss zu den Ordenskriegerinnen der Virak-Shon.« Er sah sie prüfend an.
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