Nirgendwo in Afrika
Die sind alle ganz wild auf die Dinger. Der Mann konnte ein bißchen Deutsch und hat mir versprochen, diesen Brief an Sie abzuschicken. Wer weiß, ob so einer Wort hält. Wir dürfen ja noch keine Post abschicken.
Kommen Sie jetzt nach Deutschland zurück? Damals in Genua haben Sie gesagt: Greschek, ich komme wieder, wenn die Schweine weg sind. Was sollen Sie jetzt noch bei den Negern? Wo Sie doch Rechtsanwalt sind. Leute, die keine Nazis waren, bekommen jetzt gute Stellungen und schneller Wohnungen als andere. Wenn Sie kommen, wird Grete der Frau Doktor wieder helfen beim Umzug. Die hier im Westen können gar nicht so gut arbeiten wie wir. Das sind alles faule Luder. Und dumm sind sie auch. Wenn Sie Zeit haben, schreiben Sie mir bitte. Und grüßen Sie die Frau Doktor und das Kind. Hat sie noch Angst vor Hunden? Hochachtungsvoll Ihr alter Freund Josef Greschek.«
Nachdem Walter den Brief fertig gelesen hatte, kratzten nur Rummlers gleichmäßige, schnarchende Laute an einer Stille, die dick wie Nebel in regenschweren Wäldern war. Owuor hielt immer noch den Briefumschlag in der Hand und wollte den Bwana gerade fragen, weshalb ein Mann Worte auf eine so große Safari schickte, statt dem Freund die Dinge zu sagen, auf die sein Ohr so lange gewartet hatte. Er sah aber, daß der Bwa-na nur noch mit seinem Körper und nicht mit dem Kopf im Raum war. Owuors Seufzer, als er langsam aufstand, um das Abendessen vorzubereiten, weckte den schlafenden Hund.
Viel später sagte Walter: »Jetzt ist der Bann gebrochen. Vielleicht hören wir bald mehr von zu Hause«, doch seine Stimme war müde, als er hinzufügte: »Unser Leobschütz werden wir nicht mehr wiedersehen.«
Sie gingen alle, als sei es jeden Freitag so Brauch und nicht umgekehrt, ins Bett, ehe die Stimmen der Frauen im Garten verstummten. Eine Zeitlang hörte Regina ihre Eltern auf der anderen Seite der Wand reden, aber sie verstand zu wenig, um ihnen in die Welt der fremden Namen und Straßen zu folgen. Das Bild von Grescheks seltsamer Schrift holte sie aus dem ersten Schlaf zurück, und danach erschien es ihr, als hätten die Wortfetzen aus dem Nebenraum auch Spitzen und Bögen, und die flogen immer schnell auf sie zu. Sie ärgerte sich, daß sie sich nicht wehren konnte, und redete, obwohl es Freitag war und ihr Gewissen dabei Steine schluckte, noch lange mit Mungo.
Schon am darauffolgenden Tag wurde die außergewöhnliche Schwüle von Nairobi in den Nachrichten an erster Stelle erwähnt. Die Hitze wütete wie ein verletzter Löwe. Sie versengte Gras, Blumen und auch die Kakteen, machte Bäume kraftlos, Vögel stumm, Hunde bissig und Menschen mutlos. Sie hielten es selbst in den geräumigen Flats mit teueren Vorhängen nicht aus, drängten sich zusammen in den kleinen Schatten unter den großen Bäumen und holten schamhaft, aber mit einer Wehmut, die sie sowohl ratlos als auch süchtig machte, vor langer Zeit vergrabene Bilder von deutschen Winterlandschaften aus ihren Fotoalben und Erinnerungen.
Der letzte Tag im Jahr 1945 war so heiß, daß viele Hotels zunächst auf die Anzahl der Ventilatoren im Speisesaal und erst danach auf die Gänge des Festmenüs hinwiesen. Im Ngong loderten die größten Buschfeuer seit Jahren, im Hove Court wurde das Wasser rationiert und die Blumen nicht mehr gegossen, und sogar Owuor, der Kind in der Hitze von Kisumu gewesen war, mußte sich beim Kochen oft den Schweiß von der Stirn wischen. Es gab keinen Zweifel mehr, daß die kleine Regenzeit ausgeblieben und vor Juli keine Linderung zu erwarten war.
Jettel war zu erschöpft, um zu klagen. Ab dem achten Monat ihrer Schwangerschaft verurteilte sie sich zum vollkommenen Rückzug aus dem Leben und wurde taub für jeden Trost und alle guten Ratschläge. Sie ließ sich nicht davon abbringen, daß die Luft im Freien erträglicher sei als in geschlossenen Räumen und flüchtete schon morgens um acht unter Reginas Guaven-baum. Obwohl Doktor Gregory ihr nach jeder Untersuchung sagte, sie hätte zu viel zugenommen und brauchte Bewegung, rührte sie sich stundenlang nicht von dem Stuhl, den Owuor ihr in den Garten trug und so sorgsam mit weißen Tüchern abdeckte, als wollte er einen Thron herrichten.
Die Frauen im Hove Court bewunderten Owuors Einfall so sehr, daß sie Jettel unter dem Baum mit einer Regelmäßigkeit aufsuchten, als wäre sie tatsächlich eine Königin, die ihrem Volk nur zu bestimmten Stunden Audienz gewährt. Die wenigsten hatten allerdings die Geduld, sich
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